Deutschland – Mexiko

17. Juni 2018
Luschniki-Stadion
Zuschauer: 78.011
Resultat: 0:1

© Nicole Selmer

Das Gesangsduell auf der Rolltreppe der Metro fällt deutlich aus. Die „Mexiko, Mexiko“-Rufe können die deutschen Fans noch mit „Deutsch-land, Deutsch-land“ kontern. Gegen den folgenden zeilenlangenmelodischen Gesang, der hier mangels Sprachkenntnissen nicht wiederzugeben ist, folgt nach kurzem Schweigen nur ein „Die Nummer eins der Welt sind wir“. Vor dem Stadion überwacht die Lenin-Statue den FIFA-Fanshop, während aus den Lautsprechern Anweisungen schallen, wo wir hier sind und wohin wir zu gehen haben. Doch Kritik am modernen Fußball liegt mir gerade fern, meine Blicke folgen den Volunteers in ihren tiefroten T-Shirts mitbunten Kathedralmotiven. Ich möchte so ein Shirt. Und den passenden Rucksackdazu. Lenin und der Fanshop sind da keine Hilfe. Ich bin zu schüchtern, um eine Freiwillige mit passender Kleidergröße zu einem Tausch zu überreden.

Das Schicksal will, dass ich einen Platz im deutschen Fanblock habe. Als ich ihn erreiche, wehen schwarz-rot-goldene Fahnen, doch über die aus deutscher Sicht traurige Wahrheit kann das nicht hinwegtäuschen: Das Kräfteverhältnis auf den Rängen liegt etwa bei fünf zu eins für Mexiko. In deutschen Medien ist vor dem Spiel viel spekuliert worden, ob Mesut Özil ausgepfiffen wird. Unnötigerweise. Denn etwaige Pfiffe der deutschen Fans sind von den Pfiffen der Mexikaner gegen alle deutschen Spieler nicht zu unterscheiden.

Am Rasen dürfen die Mexikaner im Großen und Ganzen machen, was sie wollen. Sie wollen nur ein Tor. Die Laune im deutschen Block sinkt, Verweise auf die letzten in der Vorrunde ausgeschiedenen Weltmeister sind nicht gern gehört. In der zweiten Hälfte muss ich besorgt sehen, dass Marco Reus eingewechselt wird. Zum Glück für Borussia verletzt er sich nicht, zum Leidwesen der groß geschriebenen Mannschaft belebt er zwar das Spiel, jedoch nicht das Ergebnis.

Nach dem Spiel zerrt mich mein Kollege von einer Gruppe weiblicher Volunteers weg, um den Heimweg anzutreten. Wir versuchen, uns den Durchsagen und Kunststofffingern zu widersetzen, die uns dirigieren wollen. Unser Widerstand führt uns zu einer gesperrten Metrostation, in der Nähe finden wir Zuflucht in einem Lokal am Ufer der Moskwa, das ein Diner wäre, wenn es nicht in Russland läge. Hier ist es ein Lokal, in dem wir auf Gerichte in der Auslage zeigen müssen. Der Taxifahrer, der uns später zum Hotel fährt, will wohl freundlich sein. Deutschland, sagt er, werde ins Finale kommen.
(Nicole Selmer)