„Nürnberg! Nürnberg! Nürnberg!“, tönt es aus der Heimkurve beim Bundesliga-Spiel zwischen dem SK Rapid und dem SV Mattersburg. Zuvor hat der Vorsänger der „Ultras Rapid“ dazu aufgerufen, die angereisten Fans des 1. FC Nürnberg zu begrüßen. Über der Zaunfahne des größten Rapid-Fanklubs hängt jene der „Ultras Nürnberg“, im Block stehen zehn der Mitglieder. Seit über 15 Jahren pflegen die Ultras der beiden Vereine eine Freundschaft. „Sie sind wie Brüder für uns“, sagt Basti, einer der Vorsänger der „Ultras Nürnberg“, der in Wien dabei ist.

Frühe Freunde

Gegenseitige Matchbesuche sind zentrale Bestandteile solcher Freundschaften, doch Ultras pflegen diese Beziehungen weit über 90 Minuten hinaus. Befreundete Gruppen nehmen stundenlange Busfahrten auf sich, um nicht nur in der eigenen, sondern auch in der befreundeten Kurve stehen zu können. Sie berichten in ihren Fanzines regelmäßig von sportlichen und fanrelevanten Neuigkeiten bei den Freunden und zelebrieren die Jahrestage ihrer Freundschaften. Oft werden eigene Banner angefertigt, auf denen die Verbindung zur Schau gestellt wird. Das stärkste Symbol einer Fanfreundschaft ist das Überhängen der eigenen Zaunfahne mit jener der Gäste. Damit wird die Verbindung nach außen demonstriert. Nahezu jede Fanszene unterhält mehr oder weniger intensive Kontakte zu ausländischen Freunden, Ultragruppen haben innige Beziehungen zu italienischen, deutschen und anderen europäischen Kurven aufgebaut und sich durch diese Verbindungen verändert.

Die Geschichte von Fanfreundschaften ist lang. Schon in den 1980er Jahren wurden innerhalb der Landesgrenzen Verbindungen aufgebaut. Zum Beispiel zwischen Rapid und VÖEST Linz oder der Austria und dem LASK. Diese Beziehungen beruhten auf persönlichen Kontakten oder waren von den bestimmenden Fankulturen geprägt, damals Hooligans und Kutten. Das Land wurde aber schnell zu klein, und die meisten Freundschaften wieder begraben, in einigen Fällen schlugen sie gar in Rivalitäten um. Alte Freundschaften gerieten in Vergessenheit und wurden durch neue ersetzt. Diese neuen Beziehungen wurden von der aufkommenden Ultrakultur getragen – und die schaute Richtung Süden.

Italienische Reisen

In Italien waren die Kurven zu Beginn der 1990er Jahre voll, laut und bunt. Die Ultras wetteiferten um die ironischsten Spruchbänder und die künstlerischsten Choreografien, sie beeindruckten mit Pyrotechnik und sangen über die gesamte Spieldauer hinweg. Die lebhafte Jugendkultur wurde bald für Fanszenen in ganz Europa zum Vorbild. Fast jedes Wochenende fuhren auch österreichische Fans nach Italien, um die dortigen Kurven zu erleben – und davon zu lernen. Mit zentralen Stilelementen der Ultras wurde auch deren Freundschaftspflege importiert. 1991 gründeten sich die „Verrückten Köpfe“ in Innsbruck. Im Jänner 1992 knüpften sie erste Kontakte nach Bergamo – durch Zufall. Nach einem Spielbesuch in Verona saßen Innsbrucker mit einem Mitglied der „Brigate Neroazzurre Atalanta“ im Zug. Er lud sie ein, seine Gruppe zu besuchen. Die lange Winterpause in der Bundesliga nutzten dann einige Innsbrucker, um jedes zweite Wochenende nach Bergamo zu fahren und bei den Spielen gegen Milan, Roma, Hellas Verona und beim Derby gegen Brescia dabei zu sein. „Die Kontakte sind auch heute noch sehr intensiv“, sagen die „Verrückten Köpfe“. Sie haben sich auf das Gespräch mit dem ballesterer genau vorbereitet. Ihre Auskünfte wollen sie als Meinung der Gruppe, nicht als individuelle Aussagen verstanden wissen.

Immer wieder war ein Transparent der Innsbrucker in der Curva Nord von Atalanta und bei Auswärtsspielen zu sehen. „Der eine oder andere von uns hat sogar ein Abo bei Atalanta gehabt.“ In Innsbruck gründeten Fans eine eigene Sektion der „Brigate Neroazzurre“. Durch die Freundschaft mit Bergamo wurden 1996 auch schnell Kontakte zu deren Freunden im mittelitalienischen Terni hergestellt. „Wir sind dann einfach hingefahren und haben in der Nacht vor dem Spiel unter der Curva Est geschlafen“, sagen die „Verrückten Köpfe“. „Die ‚Freak Brothers Terni‘ haben nichts von unserem Besuch gewusst. Als sie am Spieltag in die Fankurve gekommen sind, haben sie gar nicht glauben können, dass eine Abordnung Verrückter aus Innsbruck angereist war.“ Damit wurde der damalige Drittligist Ternana für die Innsbrucker zum zweiten Bezugspunkt in Italien. „Wir haben in den letzten Jahrzehnten sehr viel gelernt, die dortigen Kurven haben unseren Stil entscheidend mitgeprägt.“ Als eine der ersten österreichischen Gruppen zogen die „Verrückten Köpfe“ Mitte der 1990er Jahre durch bengalische Feuer und aufwendige Choreografien in der Bundesliga die Blicke auf sich.

Geheimtipp Venedig

Auch im Wiener Westen orientierte man sich Richtung Süden. „Italien war in Fanhinsicht so etwas wie das Heilige Land“, sagt Tommaso, früher einer der führenden Köpfe der „Ultras Rapid“. Seinen Spitznamen hat der gebürtige Südtiroler seiner Kompetenz in allen Fragen betreffend Italien zu verdanken. „Die Szenen von Rom, Mailand und Turin sind nicht infrage gekommen, die waren für uns einfach zu groß.“ Die Wiener fanden auf ihren Reisen Freunde an einem eher unerwarteten Ort. 1995 entstanden die ersten Kontakte zwischen den 1988 gegründeten „Ultras Rapid“ und den „Ultras Unione VeneziaMestre“. „Venedig war ein Insidertipp: ein Zweitligist mit der einzigartigen Farbkombination aus Orange, Grün und Schwarz, dazu die großen Stahlrohrtribünen des Stadions auf der Insel Sant’Elena“, sagt Tommaso.

Seine Erzählung von der Anbahnung der Freundschaft zeigt, dass die Regeln der Ultras in diesen Jahren entspannter waren als heute. „Wir sind einfach hinuntergefahren und haben uns in die Kurve gestellt. So haben wir schnell zueinander gefunden.“ Im Jänner 2000 wurde die Freundschaft durch das Aufhängen des „Ultras Rapid“-Banners in der Venediger Curva Sud offiziell. Da hatten die Wiener bereits eine Phase des Ausprobierens hinter sich. Ihre Zaunfahne war auch schon in Genua auf der Gradinata Sud von Sampdoria gehangen. Doch nur mit Venedig entwickelte sich eine Freundschaft. Der Gegenbesuch der „Ultras Unione“ erfolgte noch im Frühjahr 2000 bei einem Wiener Derby. „Mit VeneziaMestre sind wir durch ganz Italien gefahren. Manche unserer Leute haben damals fast jedes zweite Spiel von ihnen gesehen“, sagt Tommaso.

Vorbild Rapid

Dank der geografischen Nähe zu Italien und der aktiven Gruppen bei Rapid und Wacker Innsbruck fassten die Ultras in Österreich recht früh Fuß, Mitte der 1990er Jahre wurden sie dadurch für die gerade entstehende Ultrakultur in Deutschland interessant. Das Schicksal habe sie zusammengebracht, sagen die „Verrückten Köpfe“ über die Freundschaft mit den Frankfurtern, die im Frühjahr 1993 begann. Die Innsbrucker waren auf dem Weg zum Auswärtsspiel gegen Vorwärts Steyr, als das Match aufgrund heftiger Schneefälle abgesagt wurde. „Einfach wieder heimfahren war keine Option.“ Die Gruppe entschied sich für einen Umweg über München, wo der FC Bayern die Eintracht aus Frankfurt zum Duell um die Tabellenführung empfing. „Am Bahnhof in München haben wir uns kennengelernt. Das war der Beginn der Freundschaft.“

Auch in Deutschland war das Interesse an italienischer Fankultur gewachsen, einige Nürnberger Fans begaben sich regelmäßig auf die Fahrt nach Brescia. „Diese Leute haben sich die ‚Ultras Rapid‘ zum Vorbild genommen und 1994 eine eigene Gruppe gegründet“, sagt Basti von den „Ultras Nürnberg“. „Rapid war damals ja schon dick im Geschäft und hat gute Beziehungen nach Italien gehabt.“ Bereits in den 1970er und 1980er Jahren hatte es in der Hooliganszene Kontakte zwischen Nürnberg und Rapid gegeben, an diese knüpften die Ultras nun an. „Das war viel einfacher, als nach Italien zu fahren“, sagt Basti. „Die Sprachbarriere ist auch noch weggefallen. Nürnberg ist ja nicht so groß, da war Wien als Weltstadt für uns auch etwas Besonderes.“ Durch einen Generationenwechsel rissen die Kontakte zwischenzeitlich etwas ab, doch 2001 wurde die Freundschaft offiziell begründet. „Ich war damals beim Rapid-Spiel in Salzburg und habe den Vorsänger von den ‚Ultras Rapid‘ gefragt, ob ich unsere Zaunfahne aufhängen darf“, sagt Basti. „Er hat dann grinsend geantwortet, dass er dafür aber ein ‚Ultras Nürnberg‘-Shirt haben möchte. So ist das losgegangen. Rapid war für uns ein Riesenvorbild. Das war schon ganz anders, wie es da abgegangen ist.

Große Brüder

Nicht nur bei Rapid und Wacker Innsbruck, auch an anderen Orten entstanden Ultragruppen − und Freundschaften. Bei Sturm knüpfte die 1994 gegründete „Brigata Graz“ Kontakte zum Karlsruher SC, Pisa und Carrarese, die „Grazer Sturmflut“ zu Werder Bremen. Die Ultras der Salzburger Austria fanden mit Barletta und Udinese ebenfalls zwei Freunde in Italien, die ihre Auftritte in Österreich prägen sollten. Die „Fanatics“ der Wiener Austria verbrüderten sich mit Rot-Weiss Essen. So unterschiedlich die befreundeten Gruppen, so vielfältig waren auch die Motive für die neu geschlossenen Freundschaften. Bei der Rieder Fanszene war der sportliche Zufall ausschlaggebend. Die Erfolge der SV Ried, die sich nach dem Bundesliga-Aufstieg 2005 zweimal hintereinander für den Europacup qualifizierte, befeuerten auch die Entwicklung der aktiven Fanszene. „Wir haben damals die 10-Jahres-DVD der ‚Tigris Mystic‘ von Paris Saint-Germain geschaut und waren von dem französischen Ultrastil total begeistert“, sagt Karim von den „Glory Boys“. „Aber selbst haben wir ja nicht einmal gewusst, wie man richtige Choreos aufzieht.“ In den Qualifikationsspielen für den UEFA-Cup 2006 sowie 2007 trafen die Rieder jeweils auf den FC Sion – und scheiterten beide Male. Auch auf den Rängen waren die Westschweizer den Oberösterreichern voraus. „Als sie das erste Mal bei uns waren, sind wir aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Sie haben eine Choreo mit mehreren Überziehern hingelegt.“

Als 2007 das erneute Aufeinandertreffen mit dem FC Sion feststand, kamen die „Glory Boys“ in Kontakt mit den „Ultras Sion“. E-Mails wurden gewechselt, und vor dem Hinspiel in Ried trafen sich die Fans, um in lockerer Atmosphäre Schals und T-Shirts auszutauschen. „Uns hat es damals ja gerade erst zwei Jahre gegeben, wir konnten uns noch viel von ihnen abschauen. Sie waren wie große Brüder für uns“, sagt Karim. Die „Glory Boys“ lernten in der Schweiz, dass eine Choreo auch manchmal mit Plastikmaterialien gebastelt werden kann und nicht immer nur auf teurem Stoff gemalt werden muss. „Als wir das erste Mal offiziell in Sion zu Besuch waren, haben die Ultras gemeint: ‚Jetzt gehen wir ins Lokal‘“, sagt Karim. „Wir haben uns halt gedacht, die meinen irgendeine Saufhütte, aber die haben ihr eigenes Lokal gehabt. Das waren ganz neue Dimensionen.“ Trotz der unterschiedlichen Größe der Szenen sei der Umgang immer auf Augenhöhe gewesen. So gelang es auch, Sprachbarrieren aus dem Weg zu räumen. Sion liegt zwar im zweisprachigen Kanton Wallis, die Szene des FC ist aber traditionell französischsprachig. „Mit uns haben sie Deutsch gesprochen, obwohl sie das zum Teil gar nicht so gut konnten“, sagt Karim. „Da haben wir uns schon sehr geehrt gefühlt.“

Die Feinde meiner Freunde

Die Europacupauslosung stand auch Pate bei einer weiteren Freundschaft der „Ultras Rapid“. Als der SK Sturm im Februar 2001 in der Champions League gegen Panathinaikos antrat, kontaktierten Mitglieder von „Gate 13“, der organisierten Fanszene der Griechen, die Wiener. „Wir haben dann vor ihrem Spiel miteinander Zeit verbracht“, erzählt Tommaso. Am Matchtag selbst durften die „Ultras Rapid“ ihre Zaunfahne im Gästeblock anbringen – die Freundschaft war geboren. Trotz der großen Distanz entwickelte sich eine intensive Verbindung. Die Reisen nach Griechenland eröffneten den „Ultras Rapid“ abermals neue Perspektiven: „Gate 13“ unterstützt nicht nur die Fußballsektion des Vereins, sondern alle Sportarten. Besuche in Basketball- und Volleyballhallen des Landes waren die Folge.

Allerdings brachten die neuen Freunde auch Komplikationen mit – das Netzwerk der europäischen Ultrabeziehungen war seit den 1990er Jahren immer vielfältiger geworden. Es galt zu bedenken, wer gut mit wem steht und wessen Freunde und wessen Feinde einen etwa in europäischen Wettbewerben erwarten. 2007 traf der 1. FC Nürnberg in der Europa League auf AE Larisa aus Griechenland. Für das Auswärtsspiel stellten sich die Ultras auf einen harschen Empfang ein, denn als Freunde der „Ultras Rapid“, die wiederum mit „Gate 13“ verbrüdert sind, waren die Nürnberger vorbelastet. „Wir hatten großen Respekt vor der griechischen Fankultur, aber auch überhaupt keine Ahnung, was uns da erwartet“, sagt Basti. Man habe damit gerechnet, dass es kracht, und dafür eine schlagkräftige Truppe zusammengestellt. Die „Monsters Larisa“ erschienen vor Spielbeginn am Gästesektor, die deutschen Ultras machten sich zur Verteidigung ihrer Fahnen bereit. Doch die griechischen Fans begrüßten ihre Gäste freundlich und überreichten Fanartikel. „Ich habe den Leuten dann sagen müssen, dass es nichts zum Raufen gibt“, sagt Basti. Über die folgenden Jahre entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zu den „Monsters“ aus Larisa. Diese Beziehung belastete die Freundschaft zwischen Nürnberg und Wien, doch die Gruppen haben gelernt, damit zu leben. „Wir haben das ausdiskutiert. Wir fahren nicht zu den Spielen zwischen Panathinaikos und Larisa. Das würde nicht gehen“, sagt Basti. „Heute ist das überhaupt kein Problem mehr. So eine intensive Freundschaft wie mit Rapid haben wir sonst mit kaum jemanden.“

Ärger mit den Freunden

Die Freundschaft zwischen den „Ultras Rapid“ und „Gate 13“ hat nicht unter dieser Verbindung gelitten. Mittlerweile gibt es sogar eine Sektion der griechischen Ultras in Wien. „Genauso wie die Freundschaft mit Venedig hat uns auch der Kontakt nach Athen beeinflusst“, sagt Tommaso. „Das, was in Griechenland abgeht, wollten manche in Wien ebenfalls haben.“ Denn die Zeiten, in denen sich Ultras aller Länder an Italien orientierten, waren spätestens Mitte der 2000er Jahre vorbei. Inzwischen waren die Stadien halbleer und die meisten Gruppen mit der zunehmenden Repression und internen Konflikten beschäftigt. In den griechischen Kurven hingegen schien sich eine unangepasste und ausdrucksstarke Jugendkultur noch ausleben zu lassen – samt der gewalttätigen Begleiterscheinungen. Die Derbys zwischen Olympiakos und Panathinaikos gehören zu den hasserfülltesten in Europa. Zuletzt wurde 2015 ein Spiel nach einem Platzsturm abgebrochen, ein zweites nach Ausschreitungen gar nicht erst angepfiffen. Das griechische Vorbild veränderte die Wahrnehmung von Derbys in Wien. Ab der Jahrtausendwende wurde das Spiel bedeutender, die Rivalität härter und die Schmähungen heftiger. Beim Wiener Derby im Mai 2011 stürmten Teile der Rapid-Kurve nach 25 Minuten beim Stand von 0:2 das Feld, der Spielabbruch war die Konsequenz. „Unser Platzsturm war das Ergebnis einer gewissen Radikalisierung, zu der natürlich auch die Freundschaft mit Panathinaikos in jener Zeit beigetragen hat“, sagt Tommaso.

Durch den Platzsturm erfuhren die Freundschaften in den Boulevardmedien erstmals breite Aufmerksamkeit, einer der Fans auf dem Feld wurde gar als „Hassgrieche“ vorgeführt. In den folgenden Jahren reagierte auch die Polizei im Vorfeld von Spielen stärker auf bekannte Freundschaften. So gerieten 2014 Mitglieder der „Green Monsters“ und „EEE“ von Ferencvaros, die seit Jahren mit den „Tornados Rapid“ befreundet sind, ins Visier der Beamten. Zu einem Derby zwischen Rapid und der Austria reisten rund 100 Anhänger aus Budapest an. Als die Busse Wien erreichten, erwartete sie ein Großaufgebot der Polizei. Die Insassen mussten aussteigen, sich auf den Boden setzen und wurden einzeln kontrolliert. Nachdem das langwierige Prozedere zu Ende war, wurden die Busse noch vor Anpfiff des Spiels wieder zurück nach Ungarn geschickt. In einer Presseausendung berichtete die Wiener Polizei von beschlagnahmten Waffen, was die Fans vehement bestritten.

Fanfreundschaften veranlassten ein Jahr später auch den SK Rapid, auf eine sonderbare Vorverkaufspolitik zu setzen. Beim Heimderby in der Frühjahrssaison 2015 war es für Fans aus Ungarn und der Slowakei nicht möglich, online Karten zu kaufen. Der Verein begründete diesen Schritt damit, dass sich sonst Hooligans von Slovan Bratislava und Ujpest aus Budapest, die Verbindungen zur Austria pflegen, in die Rapid-Kurve mischen könnten. „Das waren vorgeschobene Gründe, eigentlich wollten sie Ferencvaros-Fans damit treffen“, sagt „Tornados“-Capo Dominik. „Wenn man Probleme erwartet, kann man das doch nicht mit einem Generalverdacht lösen.“

Your Racist Friend

Mit ganz anderen Problemen müssen sich die „Tornados“ ebenfalls auseinandersetzen. Immer wieder sind Ferencvaros-Fans in Ungarn mit rechtsextremen und antisemitischen Ausfällen aufgefallen. Im August 2013 gedachten sie beispielsweise bei einem Spiel gegen den historisch jüdisch geprägten MTK Budapest dem kurz davor verstorbenen NS-Kriegsverbrecher Laslo Csatary auf einem Spruchband. Der Capo der „Green Monsters“ verteidigte die Aktion anschließend in einem Interview, in dem er aus der offen rechtsextremen Gesinnung seiner Gruppe keinen Hehl machte. Die politische Haltung eines Fanklubs kann schnell auf dessen Freunde zurückfallen – das wissen auch die „Tornados“. Sie sind darum bemüht, nicht als Gesinnungsgenossen der Ungarn wahrgenommen zu werden. „Der Block West versteht sich als unpolitische Kurve, und wir mischen uns auch in die Belange der ‚Monsters‘ nicht ein“, sagt Dominik. Dennoch sei die Freundschaft mit Ferencvaros unter anderem aufgrund politischer Differenzen 2011 beinahe vor dem Aus gestanden. Mittlerweile habe sich die Angelegenheit aber gut entwickelt, es seien vor allem jene Mitglieder der „Monsters“ regelmäßig zu Gast, denen Politik kein Anliegen ist.

Politische Einstellungen können aber auch Nähe stiften. Das zeigen die Verbindungen der Fanszene der Austria. Die Hooligangruppe „Unsterblich Wien“ hat in der Vergangenheit immer wieder mit rechtsextremen Aktionen Aufmerksamkeit erregt. Die Gruppe reagierte auf die Vorwürfe auf ihre eigene Art. „Unsterblich soll rechts sein? Wir haben viele Freunde im Ausland“ war 2013 auf einem Spruchband zu lesen. Dahinter waren Doppelhalter mit den Vereinswappen von Real Madrid, Lazio, FC Brno, Rot-Weiss Essen und Slovan Bratislava zu sehen, zu deren Fans enge Kontakte bestehen und die ebenfalls dem rechten Lager zugeordnet werden. Über die Freundschaften der Kurve wollten die „Fanatics“, die größte Ultragruppe der Austria, mit dem ballesterer nicht sprechen.

Zerstritten, aufgelöst …

Nicht nur Politik und Rivalitäten beeinflussen die Beziehungen zwischen Fangruppen, sondern auch Spannungen innerhalb der jeweiligen Kurven – oder gar das Ende einer Gruppe. Die Freundschaft zwischen den Rieder „Glory Boys“ und Sion überstand allerdings auch die Auflösung der „Ultras Sion“ im Jahr 2013. „Mit Einzelpersonen der Gruppe haben sich persönliche Freundschaften entwickelt“, sagt Karim. „Und im Stadion gibt es jetzt Kontakt zu Nachfolgegruppe ‚Ibi Sumus‘.“ Als der FC Sion im Vorjahr bis ins Sechzehntelfinale der Europa League vordrang, waren auch die Rieder dabei. „Wir waren mit in Bordeaux und in Liverpool“, sagt der Vorsänger der „Glory Boys“.

Doch nicht jede Freundschaft führt auch einmal an die Anfield Road, und interne Spannungen bei befreundeten Gruppen lassen sich nicht immer harmonisch lösen. Die Beziehung der „Ultras Rapid“ zu den „Ultras Unione“ hatte nach ihrem Entstehen nur einen kurzen Höhepunkt – schon bald kam es in der Fanszene in Venedig zu verschiedenen Streitigkeiten. Anfang der 2000er Jahre spalteten sich zunächst zwei Fanklubs von den „Ultras Unione“ ab, die zunehmend an Einfluss in der Kurve verloren. 2003 stand die Freundschaft auf der Kippe, als zur 15-Jahr-Feier der „Ultras Rapid“ keine Gäste aus Venedig angereist waren. Die darauffolgenden Spannungen wurden durch die Rivalen von Austria Salzburg verstärkt, sie verspotteten die Rapidler mit dem Spruchband: „Hat sich’s ausgegondelt?“ Kurz nachdem der Konflikt ausdiskutiert schien, verschärfte sich die Situation ein weiteres Mal. Die „Ultras Unione“ lösten sich 2006 auf. Mit „Gate 22“ nahm eine Nachfolgegruppe ihren Platz nicht mehr in der Kurve, sondern auf der Gegengerade ein. „Das war ein politischer Konflikt“, sagt Tommaso. „Auf der Curva Sud waren die ‚Vecchi Ultra‘, die Rechte waren und mit denen der Rest der Szene wenig anfangen konnte. Wir sind plötzlich zwischen den Fronten gestanden.“ Dennoch stabilisierte sich nach einiger Zeit der Kontakt, die „Ultras Rapid“ fuhren wieder vermehrt nach Venedig – und stellten sich zu „Gate 22“. Eine Lösung, die nicht von Dauer war. 2012 löste sich auch „Gate 22“, erschöpft von der andauernden Spaltung der Kurve, auf. Die Verbindung aber überstand diese Prüfung. 2015 kamen über 20 Venezianer nach Wien, um die 15-jährige Freundschaft zwischen den beiden Kurven zu feiern. „Wir haben gesehen, dass so ein interner Konflikt alles ruinieren kann“, sagt Tommaso. „Aber es ist schön, dass die Freundschaft das letzten Endes überlebt hat.“ Zuletzt hing beim Auswärtsspiel von Rapid gegen den Wolfsberger AC im Februar dieses Jahres ein Banner der Venezianer über der Zaunfahne der „Ultras Rapid“.

… und abgehängt

Eine Tradition, die es in Innsbruck nicht mehr gibt. „Für uns steht die persönliche Freundschaft zu den Leuten im Vordergrund“, sagen die „Verrückten Köpfe“. „Am Zaun mit einem Transparent präsent zu sein, spielt eine untergeordnete Rolle. Wenn es nach dem geht, haben wir gar keine offiziellen Fanfreundschaften.“ Das gilt auch für die Beziehungen zu den „Ultras Frankfurt“. Nachdem es in beiden Kurven zu Generationenwechseln kam, ist die Innsbrucker Zaunfahne in Frankfurt seit einigen Jahren nicht mehr zu sehen. An den guten Beziehungen ändere der symbolische Akt nichts, sagen die „Verrückten Köpfe“. „Jeder Innsbrucker ist in Frankfurt, Bergamo und Terni herzlich willkommen und umgekehrt.“ Die persönlichen Beziehungen gehen in manchen Fällen sogar über den Fußball hinaus. „Der eine oder andere Innsbrucker war schon Trauzeuge bei Hochzeiten in Frankfurt und Bergamo.“

Wird die Freundschaft von der öffentlichen Bühne ins Privatleben der Beteiligten verschoben, löst das unter Umständen auch Probleme. Denn mit der Zahl der Gruppen in einer Kurve steigt die Zahl der Freundschaften und Verwicklungen. „In Italien gibt es seit über 40 Jahren Ultras“, sagt Tommaso. „Da haben eigentlich alle Kurven irgendein besonderes Verhältnis miteinander. Das kann freundschaftlich, aber eben auch hasserfüllt sein.“

Respekt vor Regeln

Das bekommen auch die „Tornados Rapid“ zu spüren, die seit einiger Zeit enge Kontakte zu den „Boys Parma“ pflegen. Allerdings sind diese nicht gut auf die venezianischen Freunde der „Ultras Rapid“ zu sprechen, zudem kämpfen die beiden Vereine in der drittklassigen Lega Pro um den Aufstieg. „Natürlich ist die Situation schwierig“, sagt Dominik. „Wir wollen nichts überstürzen und gehen sehr behutsam mit dieser Freundschaft um.“ Die „Tornados“ verzichten aufgrund der Rivalität auf Besuche von Matches, bei denen Venedig auf Parma trifft. Auch die Zaunfahne der „Boys Parma“ hing noch nicht über jener der „Tornados Rapid“ – um eine offizielle Fanfreundschaft handelt es sich also nicht. „Das ist auch eine Frage des Respekts vor den langjährigen Beziehungen zwischen Rapid und Venedig“, sagt Dominik.

Die Situation, die durch die vergleichsweise neuen Kontakte nach Parma entstanden ist, zeigt, wie sich die Freundschaftskultur und die Regeln der Ultraszene gewandelt haben. Beim UEFA-Cup-Finale 1995 hing in der Parma-Kurve eine Zaunfahne der „Ultras Rapid“. „Das war damals noch nicht so streng“, sagt Tommaso. „Da hast du schnell einmal deine Fahne überall aufhängen können.“ Das ist heute anders. Die Freundschaften, und damit auch die Rivalitäten, sind klar abgesteckt. Die Fanszenen wissen, zwischen welchen Kurven welche Beziehungen bestehen und welchen Fans gegenüber sie dementsprechend feindselig eingestellt sein müssen. „Feinde unserer Freunde sind natürlich auch unsere Feinde“, sagen die „Verrückten Köpfe“. „Diesen Respekt müssen wir uns gegenseitig einfach entgegenbringen.“

Wechselhafte Beziehungen

Diese Freundschaftsverpflichtungen erschweren es, im dichten Beziehungsgeflecht quer über die europäischen Ligen neue Kontakte zu knüpfen, ohne sich gleichzeitig neue Konflikte einzuhandeln. Zudem sind Freundschaften und ihre Entwicklungen nicht nur in den eigenen Kurven ein wichtiges Thema, sondern stehen unter ständiger Beobachtung anderer Fanszenen, im Internet brodelt die Gerüchteküche. Das hat in Innsbruck dazu geführt, dass die „Verrückten Köpfe“ einen pragmatischen Zugang zum Akt des Überhängens der Zaunfahne gewählt haben. „Du gerätst heute ja schnell in einen Rechtfertigungsdruck, der uns nicht interessiert“, sagen sie. „Wenn dann dein Fetzen einmal irgendwo nicht hängt, fragen die Leute, ob es denn in der Freundschaft kriselt.“

Und wie in persönlichen Beziehungen sind auch Freundschaften der organisierten Szene von einem alltäglichen Phänomen begleitet – manchmal schlafen sie einfach ein. Lebenssituationen ändern sich, das spüren auch Fankurven. Jene, die in den 1990er Jahren erste Kontakte geknüpft haben, stehen heute nur noch in den seltensten Fällen in der ersten Reihe. Manche Freundschaften haben diesen Generationenwechsel überstanden, andere nicht. Mit dem Wandel in den Führungsriegen verändern sich auch die Beziehungen. Freundschaftskultur ist zum festen Bestandteil des Fanlebens geworden, ihre Pflege folgt aber klar definierten Ritualen. „Die Ultrakultur wird heute sehr viel rigider gelebt“, sagt Tommaso von den „Ultras Rapid“. „Du kannst dich nicht mehr einfach so in eine andere Kurve stellen und davon ausgehen, willkommen zu sein.“

Mitarbeit: Gerhard Bader