Der Wiener Fußball gehörte im Nationalsozialismus wie schon in den frühen 1930er Jahren zur Spitzenklasse: Er zog die Massen an, Rapid und die Vienna feierten bedeutende Erfolge. Gleichzeitig kam es auch zu widerständigen Ausschreitungen auf Fußballplätzen. Der Sammelband „Fußball unterm Hakenkreuz in der ‚Ostmark‘“ versammelt diese Facetten und zeigt den Stand der wissenschaftlichen Forschung. Der Fokus des Buchs liegt auf Wien, aber auch die Situation in anderen Bundesländern wird beleuchtet.

Der Buchtitel erinnert nicht zufällig an die ballesterer-Serie „Fußball unterm Hakenkreuz“, die Herausgeber sind allesamt Redakteure des Magazins. Die Autoren werfen einen kritischen Blick auf den Fußball zwischen 1938 und 1945 und hinterfragen populäre Mythen. Gerade zur Frage von Opfern und Tätern haben sich Nebel gelichtet: Jahrzehntelang gepflegte Opferlegenden erwiesen sich als nicht haltbar, tatsächliche Opfer waren hingegen vergessen worden.

ballesterer: Mit Ausnahme von Rapid, wo die NS-Aufarbeitung von Ihren beiden Mitherausgebern angestoßen wurde, gibt es in Österreich im Unterschied zu Deutschland keine kritischen Vereinsgeschichten. Warum?
David Winterfeld, geb. Forster: Die Vereine haben kein Interesse an der Aufarbeitung und wollen schon gar kein Geld dafür ausgeben. Vielleicht denken sie, das bringt nur schlechte PR, oder sie fürchten Leichen im Keller. Rapid hat auf Kritik offensiv und rasch reagiert und damit gewonnen. Die Austria macht das Gegenteil, sie verharrt in der Defensive.
Mit „Guat is gangen, nix is gschehn“ bilanzieren Sie die Debatte um den Austria-Star Matthias Sindelar und sein „arisiertes“ Kaffeehaus. Ist der Fall symptomatisch?
Sindelar ist die Symbolfigur schlechthin, die Hydra des österreichischen Fußballmythos: Alte Geschichten und neue Verteidigungsstrategien wachsen ständig nach, gegen diese Legende kommt man mit Fakten kaum an. Das Beispiel Sindelar ist aber ein Extremfall, insgesamt hat sich schon etwas bewegt.
Der Buchtitel verwendet den Begriff „Ostmark“. Kann man in jener Zeit von österreichischem Fußball sprechen?
„Ostmark“ ist auch nicht historisch präzise, aber für unsere Zwecke brauchbar. Meiner Meinung nach hat es damals österreichische Fußballer, aber keinen österreichischen Fußball gegeben. Lokale Traditionen und Eigenheiten wie das Spielsystem haben weiter bestanden. Die „ostmärkische“ Meisterschaft war nicht mehr als eine Regionalliga im „Deutschen Reich“.
Funktionären wird häufig zugebilligt, sie seien keine Nazis gewesen, sondern hätten im Sinne des Vereins gehandelt. War der Fußball übereifrig in der Anpassung an die NS-Diktatur, oder passte er ins gesamtösterreichische Bild?
Der unpolitische Sport ist eine Legende. Aber der Fußball bildet die gesamte Bandbreite ab: Opfer, Mitläufer, Profiteure und Täter des NS-Regimes.