Seine letzten Länderspiele für Peru bestritt Claudio Pizarro im Frühjahr 2016. Im darauffolgenden Sommer nominierte der argentinische Teamchef Ricardo Gareca ihn nicht für die Copa America, und das obwohl Pizarro in der Rückrunde der deutschen Bundesliga zwölf Tore für Werder Bremen erzielt hatte. Auch danach kam er zu keinem weiteren Einsatz im Nationalteam. Die Saison 2016/17 war für ihn auch in der Bundesliga eine zum Vergessen, zu Beginn fehlte Pizarro verletzungsbedingt, danach kam er zumeist über die Reservistenrolle nicht hinaus. Am Ende der Saison lief sein Vertrag aus, und die Fußballerpension schien dem erfolgreichsten nichtdeutschen Torschützen der Liga bereits sicher. Doch im Herbst vergangenen Jahres bekam Pizarro die Chance, seine Karriere beim abstiegsbedrohten 1. FC Köln fortzusetzten. Mit mäßigem Erfolg: Verletzungen, Kurzeinsätze und Bankdrücken wechselten sich ab. Zu Redaktionsschluss stand für den Stürmer ein Tor in 13 Spielen zu Buche.
STURMSTÄRKEN
Trotz dieser Vorzeichen könnte auf den 39-Jährigen noch ein Fußballsommer auf höchstem Niveau warten. Teamchef Gareca sagte gegenüber dem Webportal der Bundesliga: „Claudio Pizarro hat jede Chance, an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Es liegt an ihm. Die Türen stehen offen.“ Auch Pizarro selbst glaubt an die Möglichkeit einer WM-Nominierung. „Ich habe weiter Kontakt zum Nationaltrainer. Es gibt eigentlich kein besseres Karriereende“, sagte er Ende Februar dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Sportlich läuft es jedoch für Peru auch ohne ihn ausgezeichnet. Ihr letztes Spiel verlor die Mannschaft im November 2016 gegen Brasilien, danach gab es eine Serie von elf Spielen ohne Niederlage. Mit dem 33-jährigen Jefferson Farfan, der früher für den FC Schalke 04 und heute für den russischen Meister Lokomotive Moskau spielt, hat Gareca einen Führungsspieler, der auch wichtige Tore erzielen kann – wie im Relegationsrückspiel gegen Neuseeland. Mit Edison Flores vom dänischen Erstligisten Aalborg BK steht im Sturm zudem ein aufgehender Stern. Er traf in den Qualifikationsspielen gegen Bolivien, Chile, Ecuador, Paraguay und Uruguay.
Und dann gibt es in der peruanischen Offensive noch einen weiteren WM-Kandidaten: den früheren Kapitän Paolo Guerrero. Im Oktober 2017 erzielte er in der Qualifikation gegen Kolumbien noch den 1:1-Ausgleichstreffer, der Peru in die Relegation führte. Kurz darauf schienen die Chancen des Ex-Bayern- und HSV-Profis, der aktuell bei Flamengo in Brasilien unter Vertrag steht, jedoch bei null zu stehen. Im vorletzten Qualifikationsspiel gegen Argentinien soll er gedopt gewesen sein. Der Befund wurde Anfang November bekannt. In Guerreros Urinprobe wurden Spuren von Benzoylecgonin gefunden, einem Abbauprodukt von Kokain. Die FIFA belegte ihn mit einer sofortigen 30-tägigen Sperre, nach der Verhandlung des Falls Ende November wurde Guerrero für ein Jahr gesperrt. Doch der Stürmer beteuerte, nie Kokain konsumiert zu haben.
OPFERGESCHICHTE
Das Verteidigungsteam von Guerrero griff in seiner Argumentation weit zurück in die Geschichte lange vor der chemischen Isolierung von Kokain Mitte des 19. Jahrhunderts – und auf 500 Jahre alte Kindermumien. 1999 wurden auf dem Vulkan Llullaillaco in Argentinien drei mumifizierte Leichen von Kindern im Alter von sechs bis 15 Jahren gefunden. Es handelt sich vermutlich um Menschenopfer einer Capacocha, eines Rituals der Inkas. Im Körper der ältesten der drei Mumien wurden, wie bei Guerrero, Spuren von Benzoylecgonin gefunden, die auf Kokablätter zurückzuführen sind, die dem Kind 500 Jahre zuvor in der Vorbereitung auf das Ritual verabreicht worden sein dürften. Guerreros Anwälte argumentierten nun mit diesem außerordentlich langen Nachweis von Benzoylecgonin im Körper. Die Kokaspuren könnten von einem Tee stammen, den der Spieler getrunken, oder einem verunreinigten Medikament gegen Grippe, das er eingenommen habe.
Ob es nun die Mumien waren, die die FIFA beeindruckten, oder die Haaranalyse, der Guerrero zustimmte und die laut brasilianischen Medien frei von Kokainspuren gewesen sein soll – Ende Dezember wurde die Sperre um ein halbes Jahr verkürzt. Seit dem 3. Mai darf Guerrero wieder spielen und könnte daher auch für das Nationalteam in Russland dabei sein.
SYSTEMTREUE
Die Vorfreude auf die erste WM-Teilnahme seit 1982 ist groß. In den Testspielen im Frühjahr konnte Peru mit Island und Kroatien zwei weitere Turnierteilnehmer besiegen. In der Vorrundengruppe mit Frankreich, Australien und Dänemark ist ein Aufstieg nicht ausgeschlossen. Für den Journalisten Diego Montalvan vom Fernsehsender Telemundo ist ohnehin schon klar: „Peru ist nach Brasilien das südamerikanische Team, das den schönsten Fußball spielt.“
Der britische Journalist Rupert Fryer, der über südamerikanischen Fußball berichtet, macht den Erfolg der letzten Jahre an Teamchef Gareca fest. „Er identifiziert sich komplett mit seiner Arbeit und hat den Glauben an seinen höchsttalentierten Kader nie aufgegeben“, sagte Fry gegenüber dem Sender SBS. Was den Peruanern allerdings fehlt, ist ein defensiver Mittelfeldmann von hoher Qualität. Das Team spielt oft in einem 4-2-3-1-System und ist somit für die Gegner leicht ausrechenbar. Für mehr Flexibilität stellt Gareca gelegentlich auf ein 4-1-4-1 um, wie in der Qualifikation gegen Argentinien und im Relegationsrückspiel gegen Neuseeland. Ob diese Varianten ausreichen werden, um bei der WM bestehen zu können, wird sich herausstellen. Aber vielleicht überrascht Gareca die Gegner mit einer ähnlich kreativen Lösung, wie es die Anwälte von Guerrero getan haben.
Update: Kurz nach Redaktionsschluss verhängte der Internationale Sportgerichtshof CAS Anfang Mai 2018 eine 14-monatige Sperre gegen Guerrero. Er wird dadurch nicht an der WM in Russland teilnehmen.
Update 2: Ende Mai entschied das Schweizer Bundesgericht auf Antrag Guerreros eine Aufschiebung der Sperre. Er wird dadurch doch an der WM in Russland teilnehmen.