Schon wieder stand die Wiener Polizei in der Kritik. Anfang Jänner hatte ihr Präsident, Gerhard Pürstl, nach einem Treffen mit dem Amtskollegen von Rapid, Michael Krammer, erklärt, dass die Polizei in Zukunft keine Fanmärsche mehr genehmigen werde. Umgehend meldeten die Wiener Klubs ihre Bedenken an. Krammer versprach, für diese Tradition zu kämpfen. Austria-Geschäftsführer Markus Kraetschmer zeigte sich von der Ankündigung überrascht, auch weil er davon aus den Medien erfahren habe: „Die Polizei war in der Vergangenheit durchaus interessiert, die Fans kontrolliert zum und vom Stadion zu bringen“, sagte er dem ORF.
Kessel durch die Institutionen
Der Auslöser für die Debatte war der Polizeieinsatz vor dem Wiener Derby am 16. Dezember 2018. Zwei Stunden vor Anpfiff hatte die Exekutive den Fanmarsch der Rapidler angehalten. Sie nahm die Personalien aller 1.337 Anwesenden auf und wies sie weg. Wer aus dem Kessel kam, musste den Sicherheitsbereich, den die Polizei großräumig um das Franz-Horr-Stadion verhängt hatte, verlassen. Das Match sahen sie nicht. Für den Großteil stellte sich die Frage aber ohnehin nicht, denn es dauerte fast sieben Stunden, bis auch die letzte Identität festgestellt war. Als Grund für den Einsatz gab die Polizei an, dass pyrotechnische Gegenstände und Schneebälle auf die Autobahn geflogen seien.
Die Ausforschung der wenigen Tatverdächtigen hätte dank Videoüberwachung, der Präsenz von 637 Polizisten und szenekundigen Beamten vergleichsweise einfach sein müssen. Dennoch entschied die Einsatzleitung, alle Fans in unmittelbarer Nähe der Autobahn anzuhalten. In zahlreichen Medien – von der Krone bis zum Falter – wurde die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes in Frage gestellt, im Bundesrat brachte die SPÖ eine dringliche Anfrage ein. Die Nachwirkungen des Kessels beschäftigen mittlerweile auch die Justiz. Die „Rechtshilfe Rapid“ bereitet Schadensersatzklagen vor, rund 20 bis 30 Fans haben schon mit Unterstützung der Faninitiative Maßnahmenbeschwerde eingereicht. „Es geht dabei nicht um Schuldsprüche für einzelne Beamte“, sagt Helmut Mitter, Sprecher der „Rechtshilfe Rapid“. „Aber im Idealfall stellt das Verwaltungsgericht fest, dass der Einsatz in dieser Form nicht rechtens war.“ Auch wenn daraus keine unmittelbaren Konsequenzen für Beamte zu erwarten sind, könnte dies der Polizei die Argumentationsgrundlage für künftige Verschärfungen entziehen.
Routenplaner
Gegenstand einer solchen könnte der künftige Umgang mit Corteos sein. Bisher war es in Wien üblich, dass Fanszenen geschlossen zu den Auswärtssektoren marschieren – nicht nur bei Derbys, sondern auch bei den Gastspielen von anhängerstarken Klubs wie dem LASK und Sturm. „Fanmärsche haben aus Gründen der Sicherheit ihre Berechtigung“, sagt Markus Kraetschmer dem ballesterer. Das sah auch die Polizei bis vor Kurzem so, wie sich an der Anreise von Slovan-Bratislava-Fans zum Europacupspiel gegen Rapid erkennen lässt. Im August 2018 war es zu Auseinandersetzungen zwischen Slovan-Fans und der Polizei gekommen, später bedauerte ein Polizeisprecher, dass keine kollektive Anreise per Zug oder Bus möglich gewesen sei.
Routenänderungen wird es künftig wohl für Gästefans am Weg zum Horr-Stadion geben. Die Austria, sagt Kraetschmer, sei mittlerweile mit der Polizei zu diesem Thema im Austausch, Ende Jänner gab es ein Treffen mit Pürstl. Die traditionelle Route führt zunächst über eine Brücke über die A23 und anschließend auf einen schmalen Pfad entlang der Autobahn – der Ort des Rapid-Kessels.
Entgegen der früheren Meldungen scheint ein komplettes Corteoverbot nicht mehr in der Diskussion zu sein, sondern nur eine Modifikation. „Die Fanmärsche werden auf alle Fälle anders aussehen“, sagt Kraetschmer. Über die genauen Vorstellungen der Exekutive lässt sich derzeit aber nur spekulieren, für den ballesterer war die Polizei zu keiner Stellungnahme bereit. Man wolle den laufenden Verhandlungen nicht vorgreifen, hieß es aus der Pressestelle.
Keine Gipfelstürmer
Einen Rahmen für weitere Gespräche zwischen Bundesliga-Klubs und der Polizei hätte der Sicherheitsgipfel bieten können, den der Rapid-Präsident nach dem Derby angeregt hatte. Krammer hatte vorgeschlagen, dass die Präsidenten von Sturm Graz, Wacker Innsbruck und den beiden Wiener Vereinen daran teilnehmen – mit Wackers Vertreter Gerhard Stocker wäre gleichzeitig der Aufsichtsratsvorsitzende der Bundesliga dabei gewesen. Für Sturm-Präsident Jauk sprach er sich aus, weil die Grazer die meisten Auswärtsfans nach Wien brächten.
Kraetschmer hält von der Trennung in anhängerstärkere und -schwächere Vereine nichts. „Wir sind gesprächsbereit. Aber nur wenn alle Klubs am Tisch sitzen“, sagt er. Wacker-Präsident Stocker sieht die Notwendigkeit eines Gipfels aus einem anderen Grund nicht. „Das ist eine Wiener Sache“, sagt er. „Wir haben keinen Einfluss darauf.“ Auch die Vorkommnisse beim letzten Wacker-Spiel in Wien ändern für ihn daran nichts. Damals war es vor dem Gästesektor in Hütteldorf zwischen Polizei und Innsbruckern zu Auseinandersetzungen gekommen, die meisten Auswärtsfans betraten das Stadion nicht und reisten noch vor Schlusspfiff wieder ab. „Wir werden alles versuchen, damit sich das nicht wiederholt“, sagt Stocker. „Aber wir machen das hinter den Kulissen.“
Der Gipfel wird also voraussichtlich nicht stattfinden. Die fehlende Einigung über die Ausrichtung beziehungsweise die genauen Modalitäten eines solchen Treffens lässt auch Schlüsse über das Arbeitsklima zwischen den Vereinen zu. Das angespannte Verhältnis zwischen den Wiener Klubs ist ohnehin bekannt, zuletzt wagten aber auch die kleineren Vereine den Aufstand: Im Dezember brachten die Admira, der LASK und der WAC einen Antrag in der Klubkonferenz ein, um eine Neuverteilung der TV-Gelder zu erwirken. Der Zuschauerzuspruch sollte als Kriterium im Verteilungsschlüssel wegfallen.
Der Antrag, der vor allem Rapid geschwächt hätte, bekam zwar eine Mehrheit, scheiterte aber um eine Stimme an der nötigen Zwei-Drittel-Hürde. Solange die internen Konflikte in der Bundesliga schwelen, können sich die Klubs auch in der Sicherheitsdebatte nicht zu einem gemeinsamen Auftreten durchringen. Die Fans könnten die Leidtragenden sein.