Die NBA bringt die heurige Basketballsaison auf dem Disney-World-Gelände in Florida zu Ende. Die Teams sind dort kaserniert, trainieren, spielen und feiern auch manchmal. Auf einem Video von der Geburtstagsparty eines Teamkollegen ist Gary Trent Junior von den Portland Trail Blazers zu sehen. Er trägt das Wappen des VfL Bochum über dem Herzen und den Schriftzug Faber Lotto samt Regenbogenfarben auf der Brust, dazu leuchtend blaue Ärmel mit kleinen Regenbögen. Es ist das Tormanntrikot des heutigen deutschen Zweitligisten aus den späten 1990er Jahren. Diese Episode verrät einige Dinge über Trikots: Ihre Bedeutung hängt nicht unbedingt mit Schönheit oder Erfolg zusammen. Sie können die Zeit überdauern. Und sie entwickeln manchmal ein Eigenleben.

INDIVIDUELL ERKENNBAR

Das alles war vor 150 Jahren noch nicht zu erahnen. Welche Farben und Designs die Trikots der Teams am 16. März 1872 im Londoner Kennington Oval genau hatten, lässt sich nicht mehr sagen. Doch fest steht: Es war bunt im ersten FA-Cup-Finale. Der Wanderers FC, der 1:0 gewinnen sollte, lief in geringelten Hemden in Schwarz, Rosa und Ocker mit weißer Hose auf, die Royal Engineers nur wenig diskreter in dunkelblauen und weinroten Streifen und blauer Hose. So zumindest die Rekonstruktion beim Rematch 2012. Die beiden Klubs waren nicht die einzigen Pioniere in Bunt, die Spielkleidung orientierte sich häufig an den Farben der Privatschulen, an denen der junge Sport ausgeübt wurde. Allerdings konnte oder wollte sich nicht jeder Spieler farbige Hemden leisten, und dann gab es noch ein grundsätzliches Problem: „Beim Fußball ist es ganz wesentlich, dass die Mitglieder einer Mannschaft sich von denen der anderen unterscheiden lassen“, notierte ein Reporter 1879. Das sei bei dem von ihm beobachteten Spiel nicht möglich gewesen, was Mitspieler wie Zuschauer verwirrt habe. Er war nicht der Einzige, der sich daran störte. 1891 wurden die Klubs der inzwischen gegründeten Football League aufgefordert, vor der Saison einheitliche Spielfarben zu definieren, wobei darauf zu achten sei, dass nicht zwei Teams in derselben Kombination antreten.

In Birmingham wurde der Aufruf zur Uniformierung und Individualität besonders ernst genommen. Aston Villa spielte bald darauf in weinrotem Hemd mit hellblauen Ärmeln und Kragenteilen. Dressen befanden sich bereits um 1900 im Spannungsfeld von Pragmatismus und Identität: Auf der einen Seite gute Erkennbarkeit und niedrige Kosten, auf der anderen individueller Charakter und besonderer Look. Der Pendelausschlag war deutlich: Dave Moor berichtet in seiner Geschichte des Trikotdesigns in Großbritannien von der Niederlage, die der Vertreter des Liverpool FC in zwei Klubkonferenzen 1904 und 1906 erlitt. Er hatte vorgeschlagen, dass der Heimklub immer in Rot, der Gast in Weiß spielen solle. Unterstützung kam nur aus Sunderland, der Vertreter aus Nottingham verwies darauf, dass die roten Hemden in seiner Stadt für Forest stünden, eine Veränderung würde für Unmut sorgen.

AUSTAUSCHBARE TRIKOTSNicht jeder Verein, der in diesen Jahren gegründet wurde, war in der Wahl seiner Trikots so klar. Manche Klubgeschichte zeugt von radikalen Farbwechseln. Der heute grün-weiße SK Rapid trat bis 1906 in Blau-Rot an, Borussia Dortmund spielte zunächst in blau-weiß gestreiften Hemden mit roter Schärpe und wechselte erst nach vier Jahren zu Schwarz- Gelb. Manchmal lieferten Stadtwappen oder die Farben des bereits bestehenden Vereins die Inspiration. Manche Farbidentität verdankt sich aber auch dem Zufall: Juventus war unzufrieden mit seinen rosa Dressen, denen das Waschen schlecht bekam. Ein englischer Ex-Spieler des Klubs half aus, er hatte Kontakte zu Notts County, die 1903 eine Ladung robusterer Trikots in den eigenen schwarz-weißen Farben – die wenige Jahre zuvor auch noch andere waren – nach Turin sandten. Die Bande zwischen den Vereinen halten ebenso wie die Farben bis heute, Juventus lud den Drittligisten 2011 zur Stadioneröffnung ein und legte mehrfach rosa Auswärtstrikots auf.

Dass der Trikottausch zwischen Nottingham und Turin so einfach ging, lag daran, dass die damaligen Dressen schlicht waren: keine Werbung, keine Wappen oder Herstellernamen. Zu Vereinsjubiläen werden die Trikots der Gründerjahrzehnte heute gerne wieder aufgelegt, dann jedoch meist mit mehr Branding versehen. So erhielt das erste grün-weiße Rapid-Trikot in seiner Retroversion ein Wappen, das, wie Julian Schneps in seinem Buch „Grün-Weiß sind unserer Farben“ berichtet, 1906 noch nicht zu sehen war. Geschickter stellte es der FC Bayern im März 2020 zum 120. Vereinsjubiläum an. Das Hemd mit dunkelroten Ärmeln und Kragen war Weiß auf Weiß mit dem T-Logo des Sponsors bedruckt. Ganz ähnlich machte es Borussia Dortmund mit seinem Sondertrikot zum 110. Geburtstag im Dezember 2019, das zu Ehren des Kohlebergbaus im Ruhrgebiet ganz in Schwarz mit Ton-in-Ton-Aufdrucken gehalten war. Der Purismus fand großen Anklang: Die produzierten 9.009 Trikots waren eine Stunde nach Ende des Spiels gegen Fortuna Düsseldorf verkauft. Für die Vereine sind Trikots für besondere Anlässe eine gute Gelegenheit, das Merchandisegeschäft anzukurbeln, ohne sich gleichzeitig dem Vorwurf auszusetzen, zu jeder Saison eine komplett neue Kollektion auf den Markt zu werfen.