Politik hat im Stadion nichts verloren? Von wegen, Politik und Fußball sind auf unterschiedlichen Ebenen eng miteinander verbunden. Das zeigt der Journalist und Politikwissenschafter Ronny Blaschke in seinem neuen Buch. „Machtspieler“ nimmt die Leser mit auf vier Kontinente. Neben den Querschnitten sind es die Längsschnitte, die das Buch lesenswert machen

Es geht auf den Balkan, zu Hooligans, die in den 1990er Jahren in den Krieg zogen. Nach Ägypten und den 72 Al-Ahly-Fans, die 2012 bei einem Spiel in Port Said den Tod fanden, weil Sicherheitskräfte und Polizei die Situation eskalieren haben lassen. In den Iran, in dem nach der Revolution 1979 Geheimdienstmitarbeiter unter den Stadionbesuchern keine Seltenheit waren. Oder nach Ruanda, wo der ehemalige Tormann Eric Murangwa den Völkermord an den Tutsi 1994 durch viel Glück überlebte, da ihn die Soldaten als Spieler des Vereins Rayon Sports erkannten, dessen Fans sie selbst waren.

ballesterer: Wie kommt man auf die Idee, so ein weltumspannendes Buch zu schreiben?
Ronny Blaschke: Ich habe mich mehr als zehn Jahre mit Rechtsextremismus im deutschen Fußball beschäftigt. Bei Recherchen und Vorträgen habe ich erlebt, wie sich junge Leute über den Fußball antirassistische Themen erarbeitet haben, auf die sie in der Schule keine Lust gehabt haben. Mit den Jahren ist meine Neugier auf Länder und Konflikte gewachsen, die in unseren Medien meist zu kurz kommen. Ich bin ins Ausland gereist und habe dort Kontakte zu Fans, Journalisten und Wissenschaftern gesucht. Nach zwei, drei Jahren war klar: Daraus muss ein Buch entstehen.

Wie haben Sie die regionalen Schwerpunkte ausgewählt?
Überall, wo intensiv Fußball gespielt wird, kann man über politische Hintergründe berichten. Aber ich wollte die großen Themen unserer Zeit exemplarisch aufgreifen: Nationalismus auf dem Balkan, Separatismus in Spanien, Religiosität im Iran und der wirtschaftliche Expansionsdrang in China – das alles lässt sich mit der Lupe Fußball wunderbar erläutern.

Der Rechercheaufwand war groß. Wie sind Sie an die Arbeit herangegangen?
Als Freiberufler kann ich Arbeit, Bildungsreise und Urlaub schwer trennen. In all diese Länder wollte ich ohnehin reisen, und durch Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen habe ich Sachen erlebt, die bei einer Pauschalreise unmöglich gewesen wären. Das Buch sollte jedoch kein Reisebericht mit Anekdoten aus verrauchten Lokalen und rasenden Taxis werden. Keine Fußballkultur, so fremd sie uns auch erscheinen mag, sollte als exotisch dargestellt werden.

Hat es Erkenntnisse gegeben, mit denen Sie nicht gerechnet haben?
Ich habe mir bei jeder Reise mehrfach gedacht, dass wir in Mitteleuropa stark durch mediale Klischees geprägt werden. Ich mag den Moment, wenn ein Vorurteil gebrochen wird. Wir sollten Russland, China und Ägypten nicht auf autokratische Regimes reduzieren. Ich habe überall kreative und mutige Leute kennengelernt, die sehr selten nach ihrer Meinung gefragt werden. Es gibt etliche Spieler in Syrien und Bahrain, die für Kritik am Regime nicht nur ihre Sponsoren riskieren.

Sie zitieren aus einer Studie, wonach in der englischen Region Merseyside Diskriminierungen und Angriffe gegen Moslems von 2015 bis 2018 um 19 Prozent gesunken sind. Auch wegen Liverpool-Stürmer Mohamed Salah.
Salah äußert sich selten politisch und hat dennoch eine solch einigende Wirkung. Das Potenzial von Fußballern ist erstaunlich. Es wäre wichtig, dass sich bereits junge Spieler mit politischen Inhalten vertraut machen, damit sie später zwischen Vernunft und Vereinnahmung unterscheiden können.