Eigentlich sind die Verhältnisse in Cadiz ein Luxus: Andernorts wird den Fans einfach ein Sponsorenname auf die Arena geknallt, in der andalusischen Hafenstadt will ein linker Bürgermeister in einem möglichst offenen Prozess „braune Flecken“ beseitigen. Nur ist der franquistische braune Fleck die Heimat des Cadiz CF, das Estadio Ramon de Carranza. Und viele Fans wollen den seit Generationen bekannten und in Liedern besungenen Namen gar nicht loswerden.Jose Maria Gonzalez Santos, kurz „Kichi“ genannt, ist seit 2015 Bürgermeister von Cadiz. Der Ohrringträger und Dauerkartenbesitzer holt sich schon einmal Ordnungsstrafen, weil er im Stadion von der Ehrentribüne herunterkommt, um Konflikte zwischen Security und Fans zu klären. „Kichi“ passt damit zum alternativen Flair der Stadt, denn Cadiz ist bekannt für die intensiv gefeierten Straßenfeste. Ob in der Karwoche oder im Karneval, bei dem chirigotas, satirische Spottgesänge, auf den Straßen gesungen werden. Von einem der Sänger, Manolo Santander, stammt „Me han dicho que el amarillo“, das sich zur Vereinshymne entwickelt hat.
Bessere Namen
Santander ist eine Legende, ebenso wie Jorge „Magico“ Gonzalez, der salvadorianische Torjäger der 1980er Jahre. Er hat sich nach dem Karriereende seinen Kindheitstraum erfüllt und ist Busfahrer in San Salvador geworden. Eine weitere Klubikone, Ex-Spieler, Berater und Fernsehmoderator Michael Robinson, ist dieses Jahr verstorben. Er hat seine Sympathie für den Klub und die Stadt oft und gerne kundgetan. Nach seinem in ganz Spanien betrauertem Tod flammte in den sozialen Medien eine alte Diskussion wieder auf: Das Carranza braucht einen neuen Namen.
Und hier kommt „Kichi“ ins Spiel. Er möchte einem Gesetz zur Erinnerungskultur Folge leisten. Kurz gesagt, geht es dabei um die Entfernung von Namen mit Verbindung zur Franco-Diktatur aus dem öffentlichen Raum. 2017 ließ der Bürgermeister seinen Amtsvorgänger Ramon de Carranza bereits aus einem Straßennamen löschen. Carranza war am franquistischen Putsch 1936 beteiligt und bis zu seinem Tod 1937 als Bürgermeister für die Verfolgung politischer Gegner verantwortlich, wobei schon das Hören des falschen Radiosenders reichte, um in diese Kategorie zu fallen.
Der Name Carranza soll also weg, und mit Gonzalez, Santander und Robinson kursierten bereits einige attraktive Alternativen. Man wolle, dass der neue Name einem Prozess entspringt, der die Einwohner von Cadiz und die Fans einbezieht, ließ das Rathaus wissen. Sie konnten im Sommer in einem offenen Verfahren Vorschläge machen. Das Ergebnis war ein Fiasko.
Die mit Abstand am meisten genannten Vorschläge waren „Estadio Ramon de Carranza“ und „Estadio Carranza“. Über 100-mal wurde „Francisco Franco“ genannt, der verstorbene Diktator. Ebenfalls über 100 Einsender stimmten für „Santiago Abascal“, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Vox. Das Onlinevotum war offen für alle, auch für konzertierte Aktionen der Rechten. Doch selbst wenn man von diesen Eingaben absieht, scheint die Präferenz für die Beibehaltung des Namens Carranza überwältigend.
Partielle Partizipation
Melchor Mateo ist Journalist der lokalen Tageszeitung Diario de Cadiz. Er versucht zu erklären, wie sehr man in Cadiz an Carranza hängt und wieso. „Der Name wird seit der Stadioneröffnung 1955 verwendet, deshalb haben ihn viele Leute einfach so abgespeichert“, sagt er. „Aber es hat auch eine starke Polarisierung zwischen den Anhängern der Stadtregierung und der Opposition gegeben.“ Die konservative Partido Popular hat die Stadt jahrzehntelang regiert und bereits versprochen, bei einer Rückkehr an die Macht den Namen Carranza zu reinstallieren.
„Kichi“ und das Rathaus haben es sich nicht leicht gemacht. Als Eigentümer des Stadions hätten sie den Namen einfach per Dekret entfernen können, ganz ohne Diskussion und Polarisierung. Stattdessen wurden Kommissionen gebildet, in denen Anrainer, Beamte und Fanklubs wie die „Brigadas Amarillas“ vertreten sind. Die größte organisierte Fangruppe steht links und hat in ihrem Abstimmungsverhalten gegen Carranza und damit auch gegen die Vertreter der anderen Fangruppen und Abonnenten votiert. Nach dem misslungenen Onlineverfahren wurde eine erneute Wahl angekündigt, bei der keine Personennamen mehr zugelassen wurden.
Befürworter des bisherigen Namens erstellten Petitionen in ihrer Sache. Der Name des Stadions, so argumentierten sie, habe sich von der historischen Person Carranza gelöst und solle eine eingetragene Marke des Cadiz CF werden. Die Bemühungen schlugen fehl. Der linke Gemeinderat Martin Vila kommentierte das Anliegen mit den Worten: „Das wäre so, als ob ein Stadion in Deutschland ‚Adolf Hitler‘ hieße, und man würde es in ‚Hitler-Stadion‘ umbenennen. Für viele Einwohner von Cadiz steht Carranza für Unterdrückung.“
Biedere Alternativen
Viele andere dürften sich bis dato bei dem Namen allerdings nicht viel gedacht haben, wie Journalist Mateo dem ballesterer sagt: „Die überwältigende Mehrheit der Fans hat über Ramon de Carranza nicht viel mehr gewusst, als dass er einmal Bürgermeister war.“ Die Benennung des Stadions geht auf dessen Sohn zurück, ebenfalls Franquist und Bürgermeister. Er dürfte 1955 keinen der Anrainer gefragt haben, ob es in Ordnung sei, das Stadion nach seinem Vater zu benennen, der in der Geschichte des Klubs übrigens weder als Förderer noch als Funktionär in Erscheinung getreten ist.
Doch um die Amtsführung der Carranzas gehe es den meisten Menschen gar nicht, sagt Mateo, ihre Haltung entspringe vielmehr einem konservativen Impuls. „Es ist eine eingeführte Marke, die allgemein bekannt ist. Hier zehrt man von der Tradition.“ Die acht Namen, aus denen die Bewohner von Cadiz Ende Oktober endgültig auswählen dürfen, kommen zum Teil aus der Rumpelkammer des Stadtmarketings. „Bahia de Cadiz“, also Bucht von Cadiz, steht ebenso zur Diskussion wie „Tacita de Plata“, zu Deutsch Silbertässchen – ein Spitzname der Stadt. Welchen Favoriten hat Melchor Mateo? „Mich spricht keiner wirklich an. Aber wenn ich wählen müsste, dann ‚Nuevo Mirandilla‘, denn Mirandilla war der erste Platz des Vereins.“ Kurz vor Redaktionsschluss wurde im Gemeinderat ein fraktionsübergreifender Antrag auf Beibehaltung des Namens eingereicht. „Kichi“ ist jedoch entschlossen, die Umbenennung durchzusetzen.