21-mal hat Silas in 58 Spielen für den VfB Stuttgart getroffen. Sein Marktwert liegt laut transfermarkt.at bei 25 Millionen Euro, für seinen Verein gilt er damit neben Sasa Kalajdzic als größtes Kapital. Am 8. Juni trat der deutsche Bundesligist mit einer aufsehenerregenden Meldung an die Öffentlichkeit: Silas Wamangituka heißt nicht Silas Wamangituka, sondern Silas Katompa Mvumpa. Auch ist er nicht 21 Jahre alt, sondern 22. Berichte über Zweifel an den persönlichen Daten des Spielers aus der Demokratischen Republik Kongo kursierten bereits Ende 2019. Das Statement aus Stuttgart lieferte ausführliche Hintergründe aus Sicht des Stürmers.
Große Abhängigkeiten
2017 sei Katompa Mvumpa als 18-Jähriger vom RSC Anderlecht zu einem Probetraining eingeladen worden, wofür er ein dreimonatiges Visum für Belgien erhielt. Kurz vor Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung bekundete der Verein Interesse an einer Verpflichtung und bat den Spieler, in den Kongo zurückzureisen, um das Visum zu verlängern. Daran soll ihn aber ein Spielervermittler mit dem Argument gehindert haben, dass er dann nicht mehr zurück nach Europa käme. Katompa Mvumpa vertraute dem Vermittler und ging mit ihm nach Frankreich, wo er sich mit ihm und weiteren Spielern eine Wohnung teilte. Zunächst spielte er im Nachwuchs von Olympique Ales, später wurde er vom Zweitligisten Paris FC unter Vertrag genommen.
Im August 2019 wechselte er nach Stuttgart. Vom Spielervermittler, dessen Identität der Verein nicht öffentlich machen will, sei er gezwungen worden, seinen Namen und sein Alter zu ändern. VfB-Sportdirektor Sven Mislintat verwendete im Pressegespräch zu dem Fall häufig einen Begriff: Menschenhandel: „Das kommt dem Thema recht nah“, sagte er dem Kicker. Katompa Mvumpa wird auf der Vereinswebsite mit den Worten zitiert: „Ich habe in den letzten Jahren in ständiger Angst gelebt und mir auch um meine Familie im Kongo große Sorgen gemacht.“
Mislintat wies auch daraufhin, dass es sich um keinen Einzelfall handle. Das zeigt auch der Dokumentarfilm „Sideline“, der Spielertransfers zwischen Afrika und Europa behandelt. „Als ich ein kleiner Junge war, sah ich Spieler aus Europa, die große Autos fuhren, große Häuser kauften, und jeder wollte so sein wie sie“, sagt Moses Adams darin. Der ehemalige nigerianische Profi ist heute Spielervermittler in Belgien. „Jedes Jahr kommen tausende afrikanischer Fußballspieler nach Europa. Alle mit dem gleichen Ziel“, sagt er. „Können Sie sich vorstellen, wie viele von ihnen einen Vertrag bekommen? Von wie vielen erfahren Sie, dass sie Verträge mit Klubs abschließen?“
Tatsächlich gelangen Spieler aus dem subsaharischen Afrika oft nach demselben Muster nach Europa und zuletzt vermehrt auch nach Asien: Sie werden von einem vermeintlichen Spielervermittler entdeckt, dieser verlangt Geld von der Familie des Spielers – in der Regel zwischen 3.000 und 5.000 Euro – und verspricht, für eine Provision ein Ticket und die Papiere für den Flug zu besorgen. Sehr oft aber finden die Spieler keinen Verein, werden im Zielland vielleicht nicht einmal vom Flughafen abgeholt. Und wenn sie doch einen Klub finden, sind sie auf ihren Vermittler als Kontaktperson angewiesen.
Niedrige Standards
Die Identität von Silas Katompa Mvumpa dürfte der Spielervermittler geändert haben, um die Verbindungen zu früheren Vereinen zu kappen und so die Zahlung fälliger Ausbildungsentschädigungen und Transfergebühren zu umgehen. Letzteres ist ein beliebtes Mittel im Konkurrenzkampf der Spielervermittler untereinander. Denn derselbe Spieler kann gleichzeitig von mehreren Vermittlern mehreren Vereinen angeboten werden. Oft wird sich der Vermittler durchsetzen, der den attraktivsten Verein verspricht und das vermeintlich beste Angebot für den Spieler hat.
Katompa Mvumpa gibt an, der Spielervermittler habe ihn in der Hand gehabt. Er habe mit der Enthüllung seiner wahren Identität gedroht und ihm nur einen Teil des Gehalts ausbezahlt. Damit berührt der Fall auch das Thema der „Third Party Ownership“. Seit 2015 verbietet die FIFA, dass die Transferrechte eines Spielers woanders als bei den Vereinen liegen dürfen. Doch in der Praxis lässt sich nur schwer kontrollieren, was sich ein Vermittler und ein Spieler untereinander ausmachen. Es handelt sich um ein System der Ausbeutung, gegen das die internationale Spielergewerkschaft FIFPRO seit Jahren vorzugehen versucht.
Für die Ungleichheiten am Transfermarkt ist ein globales System verantwortlich, das den Norden noch reicher und den Süden noch ärmer werden lässt. Verantwortlich sind aber auch die zentralen Akteure im Fußball. Die FIFA verbietet zwar den internationalen Transfer von Minderjährigen, sie lässt jedoch einige Lücken und mögliche Umwege offen. Das 2015 verabschiedete Reglement des Weltverbands zur Arbeit mit Vermittlern besagt, dass diese fortan keine FIFA-Lizenz mehr benötigen, sondern sich lediglich beim nationalen Verband registrieren müssen. Zudem gibt es keine zeitliche Beschränkung bei der Laufzeit von Verträgen und kein Mindestalter, ab dem Spieler mit Vermittlern zusammenarbeiten können.
Die FIFA bezeichnet ihre Vorgaben als Mindeststandards, die die jeweiligen Verbände zu erfüllen hätten. Es stünde ihnen frei, strengere Regeln zu formulieren. Betrachtet man die Praxis des internationalen Transfersystems aus einer menschenrechtlichen Perspektive, so gibt es klare Verantwortungen zu formulieren. Vereine, Ligen, Verbände und Staaten müssen die Rechte der Spieler schützen. Dazu zählt auch deren Freiheit und Unabhängigkeit. Doch in der Praxis wird ein nationaler Verband selten weiter gehen, als es der internationale Verband vorschreibt.
Der Fall um seine falschen Identitätsangaben hat immerhin für Silas Katompa Mvumpa eine positive Wendung genommen. Die vom DFB verhängte dreimonatige Sperre läuft in der Verletzungspause ab, hinzu kommt eine Geldstrafe von 30.000 Euro. Doch der VfB Stuttgart hat sich hinter seinen Spieler gestellt. Er sehe ihn als Opfer, sagte Sportdirektor Mislintat. „Entsprechend werden wir ihn auch schützen. Ich habe große Hochachtung davor, dass er in seinem jungen Alter, fast auf sich allein gestellt und ohne Wissen um die Folgen den Schritt gewagt hat, seine Situation zu klären.“