„Groundhopper“ lautet der Aufdruck auf der Eintrittskarte für das Spiel am 7. Dezember 2019. Den Abriss seines Stadions hatte der siebtklassige Rheydter SV bereits 2017 angekündigt. Nach einigen Verzögerungen war im Mai klar: Ende 2019 ist es so weit. So zog es in den kommenden Monaten zahlreiche Groundhopper nach Rheydt, einen Bezirk von Mönchengladbach. Die Ansetzung von Heimspielen am Samstagabend machte das Reiseziel noch einmal attraktiver, schließlich eröffnete das zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten mit einem Nachmittagsspiel in Nordrhein-Westfalen. An diesem endgültig letzten Spieltag im RSV-Stadion begrüßt der Stadionsprecher die anwesenden Groundhopper eigens, im Vorwort des Stadionmagazins wendet sich Trainer René Schnitzler an „Liebe Freunde und Gäste des Rheydter Spielvereins, liebe Groundhopper“. RSV-Pressesprecher Dirk Staubesand sagte schon im November: „Wir bekommen momentan täglich E-Mails von Groundhoppern aus ganz Deutschland und den Nachbarländern, die sich nach den verbliebenen Terminen erkundigen und Details zum Stadion erfragen.“ Für den Verein sind die vielen Gäste eine willkommene Einkommensquelle, und so werden für sie eigene Eintrittskarten als Sammlerstücke aufgelegt.
Größer als Gladbach
Der Rheydter Spielverein wurde 1905 von abtrünnigen Mitgliedern des Rheydter Turnvereins 1847 gegründet, nachdem die Vereinsführung den Kauf eines Fußballs verboten hatte. Die auch Jahnstadion genannte Spielstätte heißt offiziell Stadion Rheydter Spielverein an der Nordstraße und wurde 1922 mit Platz für 40.000 Zuschauer eröffnet. Seither ist es die Heimstätte des „Spö“ – den Spitznamen verdankt der Rheydter SV der Verkürzung des lokalen Dialektworts „Spöllverein“. Die Kapazität wurde damals sogar ausgeschöpft. Als 1925 die überdachte Tribüne mit Klubhaus entstand, kamen weit mehr Zuschauer nach Rheydt als zu Borussia Mönchengladbach. 1950 stieg der Verein in die höchste Spielklasse auf. In der Oberliga West waren damals noch Bergarbeiterklubs wie die Spielvereinigung Erkenschwick und die Sportfreunde Katernberg aus Essen aktiv, sportlich war sie in den folgenden Jahren gemeinsam mit der Oberliga Süd die stärkste der fünf landesweiten Staffeln. Drei Saisonen lang spielte der RSV in der Oberliga, nach dem Abstieg 1952 gelang unter Trainer Hennes Weisweiler der direkte Wiederaufstieg.
Doch all das ist lange Vergangenheit, der Zahn der Zeit hat seither eifrig am Stadion genagt. Die vielen Stehplatzstufen sind überwachsen, die Werbeaufschriften verblasst, die Anzeigentafel schon abgebaut. Genau das verleiht dem Stadion jedoch seinen Charme. Auf der überdachten Haupttribüne kann man sich auf den alten Stadionsitzen des Bökelbergstadions niederlassen. Die Spielstätte der Borussia wurde 2004 abgerissen, um einer Wohnanlage Platz zu machen.
Im Dezember 2018 konnte der Rheydter SV bei seinem letzten Heimspiel vor der Winterpause 50 zahlende Zuschauer begrüßen. Zum Abschiedsspiel des Stadions am 18. Spieltag der Bezirksliga Niederrhein gegen die Sportfreunde Neuwerk kommen 500. Davon machen Groundhopper gut drei Viertel aus, sie sind nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus England, den Niederlanden und Österreich angereist. Mit Bier und Bratwürsten werden sie bestens verköstigt, am Zelt, das als Verkaufsstand dient, bilden sich lange Schlangen.
Funktionalität statt Nostalgie
Die letzten Jahre waren für den Klub herausfordernd. 2002 musste der RSV Insolvenz anmelden und wurde aus der laufenden Saison der mittlerweile fünftklassigen Oberliga ausgeschlossen. Der Verein überstand das Insolvenzverfahren und begann die Saison 2003/04 in der Verbandsliga Niederrhein neu. 2005 stieg er in die Landesliga ab, 2006 weiter in die Bezirksliga und nach mehreren Auf- und Abstiegen ging es 2015 sogar bis in die achtklassige Kreisliga hinunter. Seit 2017 ist der einst erstklassige RSV nun wieder Bezirksligist.
Die veraltete Infrastruktur mag Groundhopperherzen laut klopfen lassen, bietet aber keine Basis für die Zukunft des Vereins. Daher wird das alte Stadion durch ein zweckmäßigeres ersetzt. Die Vorbereitungsarbeiten haben schon vor dem Abschiedsspiel im Dezember begonnen, so ist der Zaun um das Spielfeld bereits abgebaut. Bald werden die Bauarbeiten für den neuen Campus-Park Rheydt beginnen, in den die Stadt Mönchengladbach 4,6 Millionen Euro investiert. Die Stehplatzränge werden abgerissen und eingeebnet, Hauptfeld und Trainingsplatz auf ein gleiches Niveau angehoben und als Kunstrasenplätze neu gebaut. Zwischen den beiden Spielfeldern soll ein Funktionsbau mit Kabinen entstehen. Darin soll es zwei Multifunktionsräume geben, in denen wieder ein Vereinsleben stattfinden können soll, wie es sich der Klubvorsitzende Horst Imdahl im spö Magazin wünscht. Die Flutlichtmasten werden durch eine kleinere, moderne Flutlichtanlage ersetzt. Die historische Haupttribüne bleibt zwar bestehen, das Antlitz der modernen Spielstätte wird aber ein anderes sein. Bis Jahresende 2020 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.
Im Abschiedsspiel treffen die Rheydter nach einer halben Stunde zur Führung. Nach der Pause geht es mit Ausgleich, erneutem Rheydter Führungstreffer und schließlich dem erneuten Ausgleich hin und her. Eine Rheydter Fangruppe supportet mit ständigen kurzen Gesängen recht engagiert, lässt das Stadion hochleben und zelebriert den Abschied nach Schlusspfiff mit Pyrotechnik. Die zahlreichen Groundhopper versuchen die Szenen mit ihren Kameras einzufangen. Am Ende ertönt aus den Stadionlautsprechern „You’ll Never Walk Alone“.