Das Ende des SV Mattersburg vollzieht sich in knapp eineinhalb Stunden. So lange dauert die Hauptversammlung, die Anfang August unter Leitung von Vizepräsident Hans-Georg Deischler beschließt, den Verein in Insolvenz zu schicken. Nach ihrem Ende dürfen auch die Pressevertreter den Schauplatz betreten, das SVM-Café in den Katakomben der Mattersburger Haupttribüne. Der Großteil der rund 60 anwesenden Vereinsmitglieder bleibt nicht lang. Nach einer Stunde stehen nur mehr knapp 15 Leute an der hölzernen Bar, die nicht altmodisch, aber auch nicht mehr modern ist. Sie erinnern sich an die großen Zeiten des Vereins – daran, wie er zweimal in Folge im Cupfinale stand, an das Viertelfinale gegen den GAK, als fast 17.000 Leute ins Pappelstadion kamen, an die Jahre, als Dietmar Kühbauer, Carsten Jancker und Krzysztof Ratajczyk das Dress der Burgenländer trugen.
Hinter der Bar stehen zwei Frauen und ein Mann, die die Nostalgiker bedienen. Auch sie wirken traurig. Vielleicht denken auch sie an schönere Abende im vereinseigenen Café zurück. Für die Beschäftigten hier hat das Ende des SV Mattersburg harte persönliche Konsequenzen. Sie verlieren ihren Arbeitsplatz, das SVM-Café schließt nach 19 Jahren. „Der Verein hat für die Region eine wirtschaftliche Bedeutung gehabt“, sagt Standard-Journalist Wolfgang Weisgram, der in Mattersburg lebt. „Die Studierenden, die nebenbei bei Heimspielen ausgeschenkt haben, haben einen Nebenjob, der Fleischhauer, der die Schnitzelsemmeln geliefert hat, einen großen Auftraggeber verloren.“
DIE UNSICHTBAREN HÄNDE
Spricht man über Fußball, ist oft von Spielern und manchmal von Trainern, Sportdirektoren und Präsidenten die Rede. Doch er ist viel mehr: ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor und ein Arbeitgeber für viele Menschen. Im Auftrag des ÖFB errechnete das Forschungsinstitut SportsEconAustria 2015, dass der Fußball für eine Bruttowertschöpfung von 667,2 Millionen Euro im Jahr verantwortlich ist. 22.000 Arbeitsplätze sind demnach unmittelbar oder mittelbar von ihm abhängig. Dennoch geht es in der öffentlichen Debatte um den Wirtschaftsfaktor Fußball zumeist um die 22 Spieler am Feld, ihre Entlohnung und ihre Marktwerte. Am Laufen halten den Betrieb aber auch jene, die auf den Geschäftsstellen ihrer Arbeit nachgehen. Sie heben ab, wenn Fans den Verein anrufen, kümmern sich um Werbekampagnen der Klubs, organisieren die Reisen der Mannschaften und verkaufen Tickets und Fanartikel.
Oberflächlich betrachtet sind viele Jobs im Fußball ganz normal. Ob jemand in einem Fanshop oder in einer Boutique Modeartikel verkauft, mag an einem Mittwochnachmittag keinen großen Unterschied machen. Doch wie die Spieler und Trainer arbeiten auch hier die Beschäftigten an Wochenenden, zu besten Fernsehzeiten während englischer Runden und an langen Europacupabenden. Dasselbe gilt für die Büroangestellten, die sich um die Anliegen der Fans kümmern. Mit dem Geschehen auf dem Platz haben sie wenig zu tun, doch die innerbetriebliche Stimmung hängt vom sportlichen Erfolg ab. Gute Ergebnisse können den Arbeitsplatz sichern, schlechte können ihn gefährden. Dazu kommt, dass viele Angestellte selbst Fans sind und sich mit ihrem Arbeitgeber stärker identifizieren, als das in anderen Branchen üblich ist. Die Arbeit im Fußball ist ein Knochenjob, der die Beschäftigten an den Rand der Belastungsgrenze bringt.
Innerhalb der Bundesliga unterscheiden sich die Vereine als Arbeitgeber stark voreinander. Kein anderer Klub beschäftigt so viele Angestellte wie der SK Rapid, bei dem rund 60 Personen im administrativen und wirtschaftlichen Bereich tätig sind. Dazu kommen indirekt Beschäftigte etwa im Catering und bei der Sicherheit, die von externen Firmen angeheuert werden. Diese Zahlen gab der Verein in einem Fragebogen an, den der ballesterer an die zwölf Bundesligisten verschickt hat. Bis auf die Admira, den LASK, Sturm und Wattens haben alle Vereine geantwortet. Für die Wiener Austria und Red Bull Salzburg sind außerhalb des sportlichen Bereichs jeweils 50 Personen tätig, bei Sturm sind es laut aktuellem Jahresbericht knapp 30. Danach klafft eine Lücke. Auf der Geschäftsstelle in Altach arbeiten 14 Angestellte, in Ried und Wolfsberg fünf, in Hartberg drei. In diesem Frühjahr schickte nur Salzburg seine Beschäftigten nicht in Kurzarbeit, alle anderen mussten zumindest kurzzeitig Lohneinbußen hinnehmen.
RIEGLERS RIEGE
Vor zehn Jahren, als von Corona noch keine Rede war und der SV Mattersburg ein Aushängeschild für einen familiengeführten Dorfklub war, gelang dem WAC der Aufstieg aus der Regionalliga Mitte. Nach fast 20-jähriger Abwesenheit kehrte er 2010 in die zweite Liga zurück. Schon in den 1970er und 1980er Jahren hatten die Wolfsberger immer wieder in der zweiten Division gespielt. „Wir haben damals gedacht, die zweite Liga wäre das Maximum“, sagt Markus Perchthaler. Er wurde nach dem Aufstieg beim Verein angestellt und war neben einer Sekretärin der zweite Beschäftigte des Klubs. Schon als der WAC noch in der Regionalliga spielte, arbeitete der gebürtige Wolfsberger neben seinem Wirtschaftsstudium ehrenamtlich beim Verein. Damals gestaltete er die Stadionzeitung und half bei der Spieltagsorganisation. Heute leitet er die Geschäftsstelle, ist Teammanager, Klubmanager und oft auch einfach nur Mediator, je nachdem, welche Rolle gerade erforderlich ist. Es sei sein Traumjob, sagt er.
Zeit, sich an die zweite Liga zu gewöhnen, blieb kaum. Schon 2012 stiegen die Kärntner unter Trainer Nenad Bjelica in die Bundesliga auf. „Bjelica hat damals das Potenzial realisiert“, sagt Perchthaler. „Und mit Dietmar Riegler haben wir einen Präsidenten, der voll hinter dem Verein steht, Visionen hat und diese auch umsetzt.“ Riegler spielte einst selbst für den WAC, er war Teil der Mannschaft, die 1988 in die zweite Liga aufstieg. Reich aber wurde er nicht mit Fußball, sondern mit Brennstoffen: 1995 machte er sich selbstständig, heute ist sein Unternehmen in der Pelletserzeugung und der Entwicklung von Biomasseanlagen in ganz Europa tätig. Der WAC könnte ohne seinen Präsidenten nicht erfolgreich sein, sagt Perchthaler. Riegler hatte den Aufstieg wesentlich mitfinanziert. Routinierte Zweitligakicker bildeten das Rückgrat des Kaders, der mit Spielern wie Dario Baldauf, Christian Dobnik und Hannes Jochum, die schon in der Bundesliga gespielt hatten, ergänzt wurde.
Die großen Investitionen abseits des Spielfelds blieben aber aus. Zwar wurde das Stadion für den Aufstieg ausgebaut, erhielt eine zweite Sitzplatztribüne und einen Gästesektor, das Personal abseits des Platzes blieb aber überschaubar, mehr als fünf Personen sollten es auch in der Bundesliga nicht werden. „Ich war am Anfang schon extrem gefordert“, sagt Perchthaler. „Die Anforderungen waren strenger, und man steht in der Bundesliga viel mehr in der Auslage.“ Als Manager ist er neben dem Tagesgeschäft auch für den Spielbetrieb zuständig und damit für sehr vieles, wie er sagt. Er muss sicherstellen, dass ein Spieltag in der Bundesliga mit den vorhandenen Ressourcen reibungslos über die Bühne geht, ist Ansprechpartner für die Gästeteams und kümmert sich um die Organisation von Trainingslagern und Testspielen. Die Spielpause nach Ausbruch der Coronapandemie habe er genutzt, um kurz einmal durchzuschnaufen und Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Dann sei der Neustart zur administrativen Großaufgabe geworden. „Ab April waren wir ständig in Verhandlungen“, sagt Perchthaler, der für den WAC an den Klubkonferenzen der Bundesliga teilnimmt. „Irgendwann bin ich nur noch in Videokonferenzen gesessen.“
WACHSENDE FAMILIE
Ähnlich groß wie die Geschäftsstelle des WAC war jene des SK Rapid, als Astrid Salzer zum Klub stieß. Sie begann 1997 in Hütteldorf, im Jahr davor hatte Rapid das Europacupfinale erreicht. Auf der Geschäftsstelle arbeiteten fünf Personen, feste Tätigkeitsbezeichnungen gab es nicht. „Damals hat jeder alles machen müssen“, sagt Salzer. Seither hat sich die Mitarbeiterzahl mehr als verzehnfacht, mittlerweile gibt es sechs unterschiedliche Abteilungen. Alleine in Salzers Bereich „Klubservice, Events und Recht“ sind derzeit 25 Personen vollzeitbeschäftigt. „Früher waren wir eine kleine Familie“, sagt sie. „Aber ich komme auch mit der großen gut zurecht.“
Längst hat Salzer eine Stellenbezeichnung, nämlich „Customer Care & Call Center“. Die Wienerin kennt die Sorgen und Probleme der Fans wie keine andere. Seit 23 Jahren arbeitet sie im Kontakt mit der Basis und hat alle Emotionen erlebt, die der Fußball auslösen kann. Vergibt ein neu verpflichteter Stürmer zu viele Chancen, bekommt sie den Ärger darüber ebenso zu hören wie die Freude über Derbysiege oder wie derzeit die Unzufriedenheit der Abonnenten aufgrund der Coronabeschränkungen. Ihre Empathie und Herzlichkeit schätzen nicht nur die Fans. Zum Muttertag wird sie von den Kollegen mit einem Augenzwinkern beglückwünscht, denn sie gilt als die „Rapid-Mama“. Zu ihr kommen Mitarbeiter mit Liebeskummer ebenso wie Kollegen wegen Zwistigkeiten innerhalb des Betriebs. Denn wie in jeder Großfamilie gibt es auch bei Rapid manchmal Neid und Meinungsverschiedenheiten.