Wer alte Fernsehberichte des ORF über Leopold Stastny sieht, entdeckt einen Fußballfachmann, dem stets der Schalk im Nacken saß. Mit seinem trockenen Humor unterhielt er Journalisten und die Öffentlichkeit. Mit seiner Kompetenz legte er als Teamchef zwischen 1968 und 1975 die Basis für spätere Erfolge des österreichischen Fußballs, die von ihm initiierte Schülerliga existiert nach wie vor. Weitgehend unbekannt ist hierzulande jedoch, dass Stastny als Jude nach den „Nürnberger Gesetzen“ während des Nationalsozialismus eine tragische Vergangenheit hatte.
Stastny, am 23. Mai 1911 in Rarbok in der heutigen Westslowakei geboren, gehörte in den 1930er Jahren zu den prominentesten Fußballern in Bratislava. Im 1939 ausgerufenen slowakischen Staat unter Einfluss des Deutschen Reichs durfte Stastny zunächst weiter spielen, geriet jedoch ins Visier der Nazis. Die Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters veröffentlichte 1942 einen Hetzartikel, in dem er als „Hausjude“ des SK Bratislava bezeichnet und seine Tätigkeit im Sport harsch kritisiert wurde. Nur mit Glück entrann er dem Tod. Auch in der Slowakei ist Stastnys Überlebensgeschichte in Vergessenheit geraten, wie Michal Vanek erzählt. Er hat eine Ausstellung über Stastny im Museum der Jüdischen Kultur in Bratislava kuratiert.
ballesterer: Wie ist die Idee zur Ausstellung entstanden?
Michal Vanek: Wir haben bereits Ausstellungen über verschiedene jüdische Sportler gemacht, zum Beispiel über den Schachspieler Richard Reti, der in seiner Biografie Bratislava und Wien verbindet. Bei der Suche nach neuen Themen bin ich von einem Mitglied der jüdischen Gemeinde auf Leopold Stastny aufmerksam gemacht worden. Ich habe mich in die Geschichte vertieft und mit Tomas Cernak, dem Autor seiner Biografie, gesprochen. Mir ist schnell klar geworden, dass ich diese Ausstellung machen muss.
Haben Sie Unterstützung von Stastnys Familie bekommen?
Die meisten Originaldokumente und Fotos stammen aus dem Besitz seiner Kinder. Andere Materialien sind von Cernak, der auch zahlreiche Texte der Ausstellung verfasst hat. Ebenfalls beteiligt war der amerikanische Autor Kevin Simpson.
War die Familiengeschichte von Stastny in der Slowakei bekannt?
Nicht einmal ich als Sportfan habe etwas davon gewusst. Gerade deshalb ich es wichtig, die Ausstellung zu machen. Das mediale Interesse gibt uns recht.
Hat der Fußball Stastny das Leben gerettet?
Auf jeden Fall. Zwei Dinge waren entscheidend: Erstens seine Persönlichkeit. Er war sehr beliebt. Er hat zu den ganz wenigen slowakischen Spielern gehört, die vor dem Krieg in der tschechoslowakischen Nationalmannschaft gespielt haben. Zweitens hat sein Verein SK Bratislava Verbindungen in hohe Regierungskreise gehabt. Es ist offenbar nicht im Interesse des Regimes gelegen, einen so prominenten Spieler zu verfolgen. Er hat sich auf dünnem Eis bewegt, aber bis 1944 ist alles gut gegangen. Dann haben die Nazis die Macht übernommen. Danach hat es keine Ausnahmen mehr gegeben, die Gestapo hat freie Hand gehabt. Stastny hat sofort untertauchen müssen. Er hat nicht einmal Zeit gehabt, seine Eltern zu schützen. Beide sind in Konzentrationslagern ermordet worden. Er ist im Untergrund auch von Menschen aus dem Fußballumfeld unterstützt worden.
Wie muss er sich gefühlt haben, als er später als Trainer nach Österreich gekommen ist? Also in ein Land, in dem er auch im Fußball auf Personen mit Nazivergangenheit getroffen ist.
Das würden wir ihn gerne fragen. Leute, die ihn gekannt haben, sagen, dass er versucht hat, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen – nicht zuletzt dem Fußball.
Seine Trainerkarriere hat schon während des Kriegs begonnen.
Das ist ein paradoxer Teil der Geschichte. Auf der einen Seite hat ihn das Regime verfolgt, auf der anderen Seite hat man ihn zum Betreuer im Jugendbereich gemacht. Später hat er sogar den Armeeklub OAP trainiert, mit dem er 1943 Meister geworden ist. Das faschistische Regierungsblatt hat ihm 1944 auch zu seiner Hochzeit gratuliert. Aus heutiger Sicht klingt das unglaublich. Nach dem Krieg hat er seine Tätigkeit als Trainer wieder aufgenommen.
Wie würden Sie ihn als Trainer beschreiben?
Er war ein Vertreter des WM-Systems, das er auch weiterentwickelt hat. Außerdem hat er als einer der Ersten Fitnesstrainings und Taktikschulungen eingeführt und sich auf gegnerische Mannschaften vorbereitet. Dank seines Bruders, der emigriert war, hat er sich in der kommunistischen Tschechoslowakei trotz des Eisernen Vorhangs über die internationalen Entwicklungen im Taktikbereich auf dem Laufenden halten können. 1949 hat er als Erster mit einem slowakischen Klub die tschechoslowakische Liga gewonnen. Das war ein großer Erfolg. Er hat auch ein gutes Auge für junge Spieler gehabt und viele spätere Stars entdeckt.
Kurz ist er in die Fänge des stalinistischen Geheimdiensts geraten und 1953 inhaftiert worden. Mitte der 1960er Jahre ist er dann als Trainer ins neutrale Österreich gegangen, hat zunächst bei Wacker Innsbruck gearbeitet, dann als Teamchef.
Vor dem sowjetischen Einmarsch 1968 hat es eine Phase der Liberalisierung gegeben, in der Stastny das Land verlassen durfte. Das kommunistische Regime hat davon auch profitiert, ein Teil seines Gehalts ist an den Staat gegangen und hat Devisen gebracht. Er hat fließend Deutsch gesprochen, was ihm natürlich geholfen hat.
Hat Stastny den alten Geist Bratislavas als einer dreisprachigen, religiös und politisch vielfältigen Stadt verkörpert, der von den Nazis zerstört worden ist?
Im Hinblick auf die Sprachenfrage hat es nach dem Krieg weitere Zerstörungen gegeben. Ein guter Teil der deutschsprachigen Bevölkerung ist vertrieben worden. Die offene Atmosphäre der Zwischenkriegszeit, die im demokratischen Tschechoslowakischen Staat nach 1918 entstanden war, ist untergegangen. Dabei war das vielleicht die beste Zeit unserer Region mit einem blühenden Austausch mit unseren Nachbarn in Österreich und Ungarn. Hoffentlich gelingt es uns, diese Verbindungen wiederzubeleben.
Michal Vanek (42) ist Kurator und stellvertretender Direktor des Museums der Jüdischen Kultur in Bratislava.
Buchtipps
Tomas Cernak
„Leopold ‚Jim‘ Stastny“
(SK Slovan Bratislava Futbal 2018)
Kevin E. Simpson
„Soccer under the Swastika“
(Rowman & Littlefield 2020)