Wer den rumänischen Fußball verstehen will, darf nicht in den maroden Stadien suchen, nicht in der aufgeladenen Stimmung mit Bier und Cevapcici. Er muss hinaus fahren aus der Bukarester Innenstadt, an schmucklosen Betonbauten entlang und am Bauernmarkt vorbei in den Südwesten der Stadt zu einem gelben Gebäudeblock mit Stacheldrahtumzäunung und Wasserflecken an der Fassade. Wer zum rumänischen Fußball will, fängt am besten im Bezirksgefängnis Rahova an.
Korruption, Illegalität und Autokratie
Die rumänische Liga durchlebt derzeit die größte Krise ihres Bestehens: Die Traditionsklubs Dinamo und Rapid aus Bukarest sowie der CRF Cluj sind pleite, letzterer rutschte nach Strafabzug von 24 Punkten vom zweiten auf den letzten Tabellenplatz. Polizeibeamte durchsuchen Vereinshäuser in der Hauptstadt und der Provinz, und die Fans fragen sich, ob im kommenden Jahr überhaupt eine rumänische Mannschaft in die europäischen Wettbewerbe geschickt werden kann.
Im Gefängnis in Rahova sitzt eine Riege an Männern, die über die letzten Jahre des rumänischen Fußballs viel erzählen könnte. Und darüber, was alles schiefgelaufen ist. Sie haben den rumänischen Fußball nach der Wende groß gemacht und ein System aus Korruption, Illegalität und Autokratie errichtet. Heute steht die erste Liga vor den Scherben ihres Werks. „Wir erleben eine Übergangsphase, der rumänische Fußball passt sich an die Realität an“, sagt Stefan Beldie, einer der bekanntesten Sportjournalisten des Landes. Und die Realität ist ernüchternd: Sieben der 18 Erstligaklubs sind zahlungsunfähig.
Statussymbol Fußballklub
Vor 1989 kannte die rumänische Fußballwelt ihre Grenzen. Eine Stadt hatte eine Mannschaft. Die Mannschaft einen realsozialistischen Namen. Und in Bukarest kämpften mit Dinamo und Steaua der Klub des Geheimdiensts und der Klub der Armee um die Vorherrschaft. Dann kam die Revolution, und auch im Fußball gelangten neue Gesichter an die Macht. Privatleute, Geschäftsmänner, die im Nachwendechaos über Nacht reich geworden waren. Wie viele Rumänen mochten sie Fußball und da Geld keine Rolle spielte, schmückten sie sich bald mit einer eigenen Mannschaft.
So kaufte der Elektrowarenverkäufer George Copos Mitte der 1990er Jahre Rapid Bukarest, der Gashändler Cristi Borcea übernahm den Hauptstadt-Konkurrenten Dinamo, und ab 2003 hatte mit Gigi Becali ein Immobilienmogul bei Steaua das Sagen. Fußballvereine gelten als die exklusiveren Uhren und Autos. Der Staat ist schwach, es regiert das Gesetz des Stärkeren, auf dem Fußballfeld wie in der Privatwirtschaft. Abseits des Rasens nutzen die neuen Vereinschefs ihre Klubs als Umsatztreiber für die eigenen Geschäfte, als Bühne für den Personenkult und, sofern sie politische Ambitionen hegen, als Wahlkampfschauplatz. Über den Spielbetrieb werden angeblich auch Gelder gewaschen. „Man hat alle möglichen Manöver durchgeführt“, sagte der ehemalige Nationaltrainer Ladislau Bölöni im vergangenen Juli der Onlineplattform Digi24. „Auch mit Schwarzgeld.“
Partyende im Gefängnis
Doch die Party nahm ein jähes Ende, als die Antikorruptionsbehörde DNA ihre Beamten in die Fußballklubs ausschickte und die wichtigsten Köpfe der rumänischen Fußballwelt 2008 auf die Anklagebank brachte. Es ging um Steuerhinterziehung bei Auslandstransfers. Nach einem jahrelangen Prozess verurteilten die Gerichte in ein und demselben Verfahren acht Männer: George Copos, Steaua-Geschäftsführer Mihai Stoica, sein Manager und ehemaliger Spitzenspieler Gheorghe Popescu sowie der ehemalige Präsident von Gloria Bistrita, Jean Padureanu, wanderten hinter die Gitter von Rahova. Auch Cristi Borcea und die Gebrüder Giovanni und Victor Becali, die ersten offiziellen Fußballagenten nach 1989, traf es. Sie sollen den Klubs einen Schaden von umgerechnet zehn Millionen Euro, dem Staat einen von 1,5 Millionen zugefügt haben. Zum Vergleich: Rund 100 Millionen setzt die erste Liga pro Jahr um, schätzt Beldie.
An einem Vorfrühlingstag im März 2014 führen die Justizbeamten so mit einem Schlag die einflussreichsten Männer des rumänischen Fußballs ab. Nur einer fehlt. Denn Steauas langjähriger Präsident Gigi Becali sitzt schon seit Mai 2013 im Gefängnis. Er hat Spiele manipuliert und Spieler bestochen, aber auch seine Bodyguards in Selbstjustiz nach einem Autodieb suchen lassen und illegal Liegenschaften mit dem Verteidigungsministerium getauscht.
Ausgelieferte Vereine
Lange haben die rumänischen Vereine in einer fatalen Symbiose mit ihren Eigentümern existiert, die ihre persönlichen Interessen verteidigten. Der Fußballklub dient als Aushängeschild dem eigenen Renommee und darüber hinaus niemandem. Die Vereine wiederum sind ihren Eigentümern ausgeliefert, da sie wirtschaftlich alleine nicht überleben würden. Mittlerweile haben Copos und Borcea ihre Anteile an den Hauptstadtklubs Rapid und Dinamo abgegeben, Steaua gehört weiterhin Gigi Becali. Er darf sich Hoffnungen machen, bald frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen zu werden.
Hat das Urteil vom März 2014 die Fußballlandschaft verändert? „Diese Verurteilungen stellen schlechte Gewohnheiten nicht automatisch ab, aber sie hemmen bestimme Tendenzen“, sagt Journalist Beldie. Die Nachwirkungen des alten Systems sind jedenfalls noch zu spüren. Erst im Februar endete der Skandal um systematische Schiedsrichterbestechungen mit hohen Haftstrafen – unter anderem für den ehemaligen Leiter der rumänischen Schiedsrichtervereinigung. Ende März hat die Antikorruptionsbehörde mit ASTA Targu Mures, dem bisher unauffälligen Zweitplatzierten der Liga, den nächsten Klub ins Visier genommen.