Er war einer der weltbesten Verteidiger zur Mitte der 1990er Jahre, gemessen wurde er aber meist nicht an seinen Taten, sondern an seinem Äußeren. Ein Nachruf auf Trifon Iwanow und seine Zeit.
Irgendwie und irgendwann ist Trifon Iwanow aus der Zeit gefallen. Wer an ihn zurückdenkt, fällt selbst aus der Zeit heraus, oder nein, er fällt in jene Jahre hinein, die sich anfühlten, als wären sie aus der Zeit gefallen. Jene Jahre, in denen Bulgarien sich ins Halbfinale der Weltmeisterschaft spielte, jene Jahre, in denen der SK Rapid im Finale des Europacups stand, jene Jahre, die große Zeit des Trifon Iwanow. Doch vielleicht gab es nie eine Zeit für ihn, für Iwanow, der zu spät zum Training und aus der Kabine kam und viel zu früh verstarb, am 13. Februar 2016, im Alter von 50 Jahren.
Der Narr Im Sommer 1965 wurde Iwanow im bulgarischen Lipniza geboren, mitten hinein in eine goldene Fußballergeneration. „Wir sind schon miteinander in die Schule gegangen“, sagt Krassimir Balakow, der wie Iwanow bei der WM 1994 Vierter wurde. „Ab der U18 haben wir gemeinsam alle Nachwuchsnationalteams durchlaufen.“ Auch zum Profi wurden beide beim gleichen Verein, dem FK Etar Weliko Tarnowo. 18 Jahre war Trifon Iwanow damals alt. Sechs Jahre lang spielte er bei dem Verein, so lange wie sonst nirgends. „Trifon hat einen besonderen Bezug zur Heimat gehabt“, sagt Balakow. „Er ist immer wieder hierhin zurückgekehrt.“ Insgesamt viermal wird Iwanow während seiner Karriere verliehen, immer nach Bulgarien. Einmal zu seinem Heimatverein, dreimal zu ZSKA nach Sofia. 1993 ging Iwanow in die Schweiz, zu Neuchatel Xamax. Sein Trainer, Gilbert Gress, konnte ihn nicht ausstehen. „Ich habe angerufen und nach Iwanow gefragt“, sagt der damalige Rapid-Trainer Ernst Dokupil. „Gress hat nur gemeint: ‚Lass die Hände von ihm, das ist ein Narr.‘“ Dokupil holte Iwanow im Sommer 1995 trotzdem nach Wien.
Wahrscheinlich ist nach ihm kein besserer Fußballer nach Österreich gekommen, um in der Bundesliga zu spielen. Wahrscheinlich ist aber auch kein Vergleich möglich, denn so spielen wie Trifon Iwanow wird nie wieder jemand – und so aussehen auch nicht. Einen Wolf nannten sie ihn und lagen damit doch falsch. Denn Wölfe jagen in Rudeln und hetzen auf ihrer Suche nach Opfern durch die Gegend. Wer Iwanow als Verteidiger erlebte, dem kamen andere Tiere in den Sinn: etwa eine Schlange, mit sanften Augen, wie Iwanow sie besaß. Eine Schlange, ein Verteidiger, der verharrte und wartete, bis einer auf ihn zukam, einer wie Ivica Vastic, wie Ralph Hasenhüttl, wie Youri Djorkaeff im Finale des Europacups der Cupsieger.
Der Verteidiger „Kopfballspiel, schnelle erste Schritte und eine unglaubliche Antizipationsfähigkeit – das hat den Trifon ausgemacht“, sagt Peter Schöttel, Iwanows damaliger Kollege in der Rapid-Innenverteidigung. Auch seine ehemaligen Mannschaftskollegen erzählen von versäumten Trainings und katastrophalen sportmedizinischen Tests. „Aber wenn ich zu ihm gesagt habe ‚Heast, Trifon, jetzt gilt’s‘, dann hat er auch im Training seine Leistungen gebracht“, sagt Dietmar Kühbauer. Überhaupt seien seine Trainingsleistungen nicht von überragender Bedeutung gewesen. Schöttel sagt: „Sicher war der Trifon nicht der Schnellste, aber er ist eh fast immer da gestanden, wo er stehen musste.“
Irgendwie und irgendwann ist Trifon Iwanow aus der Zeit gefallen, er war nicht mehr zu sehen, er lebte wieder in Bulgarien, und gesagt hatte er vorher auch nicht viel.
Denn Iwanows Stellungsspiel war außergewöhnlich, sind sich auch die Experten der Nachwelt einig. Weil es auffiel, wie richtig er stand. Nicht nur den Experten – mit Iwanow bekam plötzlich so gut wie jeder Rapid-Fan mit, was einen hervorragenden Verteidiger ausmacht. Man achtete darauf, was Iwanow tat, während der Ball woanders herumsprang. Meist tat Iwanow nichts, beobachtete, verweilte, lauerte, bewegte sich kaum. Dass er so oft zubiss, dass er so genau wie unerbittlich grätschte, war nur möglich, weil der Bub aus Lipniza mit dieser einzigartigen Gabe ausgestattet war, kaum jemals einen falschen Schritt zu tun, wenn der Ball auf ihn zukam. Den Rest erledigte eine kalkulierte, momentane Aggression. Dann stand Trifon auf und schaute drein wie immer. „Eigentlich war für den Trifon weit mehr möglich“, sagt Kühbauer. „Er war mit uns im Europacupfinale, aber mit seinem Talent hätte er auch bei den ganz großen Adressen in Europa spielen können.“
Die goldene Generation Internationale Aufmerksamkeit erfährt Iwanow das erste und eben fast auch das einzige Mal bei der Weltmeisterschaft 1994 in den USA. Er spielt, wie er eben spielt. Auch beim 2:1 gegen Deutschland im Viertelfinale, dem größten Spiel einer bulgarischen Fußballgeneration. Jürgen Klinsmann läuft an, Iwanow grätscht den Ball weg. Rudi Völler läuft an, überläuft Iwanow, Iwanow grätscht ihm von hinten den Ball weg. Andreas Möller schießt, Iwanow fährt dazwischen. Völler schießt, Iwanow hält den Kopf hin. Dann steht er auf und schaut drein wie immer. Bulgarien gewinnt durch Tore von Christo Stoitschkow und Jordan Letschkow und einer giftigen Natter in der Verteidigung. „Iwanow war ein wichtiger Grund dafür, warum wir als Mannschaft funktioniert haben“, sagt Balakow. Denn Iwanow war weit mehr als nur ein Verteidiger, der grimmig schaut. „Man vergisst das ja heute gerne“, sagt sein ehemaliger Schulkollege. „Aber es war damals alles andere als selbstverständlich, dass ein Verteidiger ein guter Fußballer war. Der Trifon war am Ball unglaublich.“
Iwanows Stellungsspiel war außergewöhnlich. Man achtete darauf, was Iwanow tat, während der Ball woanders herumsprang. Meist tat Iwanow nichts, beobachtete, verweilte, lauerte, bewegte sich kaum.
Für Balakow war aber nicht alleine das sportliche Talent für den Erfolg der Mannschaft ausschlaggebend. „Wir waren wie eine Familie“, sagt er. „Auch heute haben wir noch Kontakt.“ Die Trauerfeier für Iwanow in Weliko Tarnowo besuchte die gesamte Nationalmannschaft der WM 1994. Insgesamt waren es 5.000 Menschen, die Iwanow die letzte Ehre erwiesen.
Der Unnahbare Wenige Kapitäne großer Mannschaften haben weniger gesagt als Iwanow. Als die Nachricht seines Todes eintraf, wurden keine Zitate ausgetauscht, um die Erinnerung an ihn zu beleben, nicht in Bulgarien, nicht in Wien-Hütteldorf. Iwanow sprach mit seinem Körper, mit seinem schwerfälligen und doch so mächtigen Körper, mit seinem Gesichtsausdruck, mit seinem ewig gleichen, ausdruckslosen und doch so durchdringenden Gesichtsausdruck. Iwanow sprach nicht allzu viel mit Reportern, und sie sprachen nicht allzu viel mit ihm. Deswegen bemühten sie nach seinem Tod die Anekdoten, von den Ferrari-Ausfahrten mit rauchenden Reifen, von der Wahl zum hässlichsten Fußballer der Welt.
Nie war man als Rapid-Fan Trifon Iwanow nahe, so wie man einem Hansi Krankl nahe sein konnte, einen Andi Herzog zum Leiberltausch überreden konnte oder einen Steffen Hofmann zum Händeschütteln. Es war nicht seine Härte, sein raues Spiel, sein Bart, sein schlechtes Deutsch, das die Distanz schuf. Es war der Respekt vor einem Spieler, der rund um sich eine Zone schuf, die man nicht betrat. Eine Erinnerung an das Europacup-Finale 1996 im Brüsseler König-Baudouin-Stadion: Iwanow köpfelt Sekunden vor Schluss in die Hände des Tormanns. Der Alkohol und die Hoffnung und die schlechte Sicht von der anderen Seite des Stadions lassen kurzen Jubel ausbrechen, aber der Schiedsrichter pfeift ab, und die Spieler machen noch eine Ehrenrunde. Viele klatschen mit den Fans ab, Iwanow nicht. Er bleibt ein paar Meter vor dem Zaun stehen, klatscht den Rapid-Fans zu, mehr wäre übertrieben, mehr wäre nicht angemessen.
Der verlorene Platz Meisterschaftsfinale am 1. Juni 1996 im Wiener Ernst-Happel-Stadion, Rapid gegen Sturm, der Erste gegen den Zweiten in der letzten Runde, an diesem Abend wird Trifon Iwanow seinen dritten und letzten Meistertitel holen. In der 54. Minute wird sein Mitspieler Carsten Jancker in der eigenen Hälfte kurz vor der Mittellinie gefoult, das Geschehen und die Fernsehkameras konzentrieren sich auf die Diskussionen der Spieler, als Iwanow anläuft und aus mehr als 60 Metern aufs Tor schießt. Sturm-Tormann Thomas Gill kann den Ball im letzten Moment rausfischen, er fliegt rückwärts ins Netz. Trifon Iwanow schaut wie immer, das Stadion skandiert seinen Namen.
Im Jahr darauf wird ihn Ernst Dokupil rausschmeißen. „Als der Erfolg weg war, sind wir einfach nicht mehr zu Rande gekommen“, sagt der Trainer heute. Iwanow wechselt zum Stadtrivalen Austria, er ist vielleicht der einzige Spieler in der langen Geschichte Rapids, der so etwas darf, ohne dass es seiner Erinnerung geschadet hätte. Am Ende seiner Karriere spielt er für den Floridsdorfer AC in der Regionalliga Ost.
Irgendwie und irgendwann ist Trifon Iwanow aus der Zeit gefallen, er war nicht mehr zu sehen, er lebte wieder in Bulgarien, und gesagt hatte er vorher auch nicht viel. Die Nummer drei der bulgarischen Nationalmannschaft, die Nummer vier der Rapid-Meistermannschaft, sie war so anders als der Rest der Fußballwelt. Aber sie hatte einen Platz in ihr. Heute gibt es diesen Platz nicht mehr. Weil es keinen Trifon Iwanow mehr gibt, der ihn verteidigt.
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