„Abliefern ohne Wenn und Aber, selbst wenn du verletzt bist.“ So beschrieb der langjährige deutsche Teamspieler Per Mertesacker nach seinem Karriereende 2018 die Arbeitsbedingungen im Profifußball. Der Beruf, von dem so viele träumen, kann für manche zum Albtraum werden. Und die Verletzungen sind nicht immer physischer Natur. Robert Enke, Mertesackers Kollege im Nationalteam und bei Hannover 96, und der frühere Sankt-Pauli-Spieler Andreas Biermann nahmen sich das Leben, beide waren depressiv. Andere prominente Spieler wie Andres Iniesta und Daniel Rose thematisierten ihre Depressionen, Tony Adams sprach über seine Alkoholsucht. Doch noch immer sind psychische Erkrankungen ein Thema, über das im Fußball selten gesprochen wird. „Die Befürchtungen, die ich hatte, bevor ich meine Krankheit öffentlich gemacht habe, haben sich bestätigt“, sagte Biermann, nachdem sein Vertrag beim FC Sankt Pauli 2010 nicht mehr verlängert wurde. „Ich würde keinem depressiven Profi empfehlen, seine Krankheit öffentlich zu machen.“
Rat auf Draht
In Deutschland und England gibt es mit der Robert-Enke-Stiftung und der von Adams gegründeten Sporting Chance Clinic zwei Einrichtungen, die explizit Sportlern Hilfe bieten, die mit Depressionen beziehungsweise Suchterkrankungen zu kämpfen haben. „Diese Initiativen haben zur Enttabuisierung von psychischer Belastung im Fußball beigetragen“, sagt Fabian Decker. Der Sportpsychologe hat sich in seiner Masterarbeit mit mentaler Belastung und deren Symptomausprägung im österreichischen Fußball beschäftigt. „Über psychische Probleme zu sprechen, ist immer eine Herausforderung“, sagt er. „Umso mehr gilt das für Fußballprofis, weil sie so stark im Rampenlicht stehen.“ Decker hat für seine Masterarbeit als Erster die mentale Gesundheit von Fußballen in Österreich untersucht. Für seine Studie befragte er 40 Fußballer und sieben Fußballerinnen aus den oberen Ligen. Unter anderem stellte er dabei fest, dass sich vor allem längere Verletzungen negativ auf die psychische Gesundheit der Befragten auswirkten. Diese Belastungen können in weiterer Folge in eine Spirale aus Angst und Depression führen.
Zwar arbeiten die meisten Profivereine mit Sportpsychologen, die Sorge der Spieler, dass der vereinsinterne Besuch zum Trainer oder den Mitspielern durchdringt, sei jedoch eine hohe Hürde, sagt Decker. Er plädiert daher für mehr Anlaufstellen außerhalb der Vereine, um die Anonymität zu sichern und die Hemmschwelle der Spieler zu senken. Im März startete die Spielergewerkschaft VdF in Kooperation mit dem Sportpsychologen eine kostenlose Supporthotline. Decker betreut das Angebot derzeit als einziger Mitarbeiter. Wenn Spieler Kontakt aufnehmen, bemüht er sich, Probleme in einem Erstgespräch direkt zu lösen. Diejenigen, die Interesse und Bedarf an weiterer Unterstützung haben, vermittelt er weiter. Dabei kann Decker auf ein landesweites Netzwerk von Sportpsychologen zurückgreifen.
Keine Hintertürpsychologie
Nach Angaben der VdF haben sich in einer Umfrage zwei Drittel der befragten Spielerinnen und Spieler für eine externe Anlaufstelle bei psychischen Problemen ausgesprochen. „Ich glaube, dass die jüngere Generation eher bereit ist, sich Hilfe zu suchen. In meiner aktiven Karriere wäre das noch undenkbar gewesen“, sagt Oliver Prudlo. Der ehemalige Verteidiger des FC Tirol ist heute stellvertretender Vorsitzender der VdF und kümmert sich dort um die Supporthotline.
„Gerade im präventiven Mentaltraining stecken so viele Möglichkeiten“, sagt Decker. Eine gute sportpsychologische Betreuung könne viele Probleme ersparen, dabei sei jedoch wichtig, den Gang zum Psychologen nicht zum Tabuthema werden zu lassen. „Versteckte Hintertürpsychologie muss offenen Teamgesprächen weichen“, sagt Decker. Die Zusammenarbeit mit der VdF sieht er als wichtigen ersten Schritt, dennoch gebe es in Österreich viel Aufholbedarf. „Der FC Sevilla stellt der Mannschaft ein zehnköpfiges Team von Sportpsychologen zur Seite und arbeitet eng mit der städtischen Universität zusammen. Von solchen Verhältnissen sind wir noch ein gutes Stück entfernt.“
Das Glück der Amateure
Laut Decker sind neben den beruflichen Belastungen die mangelnde Abwechslung außerhalb des Fußballs und ein fehlendes soziale und familiäres Netzwerk die Hauptgründe für psychische Erkrankungen. „Gerade Legionäre haben damit zu kämpfen, dass ihnen oft Bezugspersonen außerhalb des Sports fehlen“, sagt er. Dieses Problem habe sich durch die Auswirkungen der Coronapandemie verstärkt. „Manche Spieler waren monatelang von Freunden und Familie getrennt.“
Den Ursprung der Belastungen im beruflichen Alltag verortet Decker jedoch woanders: in der Konkurrenz. Dass Fußball der vielleicht egoistischste Mannschaftssport ist, merke man bereits in den Nachwuchsleistungszentren, in denen die Auswahlverfahren enorm hart seien. „Den Kindern wird vorgegaukelt, dass elf Freunde am Platz stehen, aber gleichzeitig muss jeder zuerst auf sich schauen und um die Position im Team kämpfen“, sagt er. „Diese Erzählungen passen nicht zusammen. Das kann mental sehr belastend sein.“ Decker rät, bereits früh in der Karriere über einen Plan B nachzudenken. Das private Umfeld und auch die Vereine müssten Spieler dabei stärker unterstützen, schließlich würden nur die wenigsten Talente später ihr Geld mit Fußball verdienen. Für die psychische Stabilität muss das nicht unbedingt negativ sein. „In meiner Auswertung haben die Bundesliga-Spieler häufiger als Regionalligisten angegeben, unter sportberuflichem Stress zu leiden“, sagt Decker. Weniger Stressfaktoren, mehr Abwechslung im Alltag und eine geringere berufliche Abhängigkeit vom Fußball spielen dabei eine entscheidende Rolle.