Im Sommer wurde österreichische Fußballgeschichte geschrieben: Mit den Wechseln von David Alaba zu Real Madrid und Yusuf Demir zum FC Barcelona scheint der heimische Ballsport eine weitere Stufe auf dem Treppchen zum Erfolg gemeistert zu haben. Erstmals spielt je ein Österreicher bei den zwei Großen der Primera Division. In jener Liga, die seit gut 15 Jahren als die beste der Welt gilt, als Catwalk der Stars, deren Teams auf internationalem Parkett so gut wie alles abräumen. Aber halt, hier stimmt einiges nicht! Zur Primera Division sagt man jetzt offiziell La Liga Santander, und die großen Klubs sind in Geldnöten. International bangt die Liga um den Anschluss an die Spitze, und Stars wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Sergio Ramos suchen das Weite. Sind die zwei Wiener zu spät zur Party gekommen?
Denn es war ein rauschendes Fest, das wir miterleben durften. Real und Barcelona konnten in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt jedes zweite Jahr die Champions League gewinnen, von 2014 bis 2018 sogar fünfmal hintereinander. Die Europa League haben lange der FC Sevilla und Atletico Madrid unter sich ausgemacht. Manche dieser Titel wurden dazu in rein spanischen Finale ausgespielt. Das hat sich in der UEFA-Fünfjahreswertung niedergeschlagen, die die spanische Liga lange dominiert hat – ebenso wie das hauptsächlich mit ihren Spielern bestückte Nationalteam die Weltrangliste. Kein Wunder, nach drei Turniersiegen in Folge. Die zwei Großklubs konnten sich dazu dank der schieren Größe ihres Umsatzes teure Kader leisten, gespickt mit internationalen Stars. Mit ihren immer weiter steigenden Merchandise- und TV-Geldern haben sie sich scheinbar selbst finanziert. Das war nicht der erste kleine Trick, in Spanien sagt man truco, mit denen sie sich einen Vorteil verschafft haben. Und es sind auch nicht die ersten Turbulenzen, die La Liga durchstehen muss. Ihre Geschichte ist voller trucos und Krisen.
Mythos Real
Was hat Real Madrid so groß gemacht? Die seit 1928 ausgetragene Primera Division war lange eine ausgeglichene Angelegenheit. Athletic Bilbao, der FC Barcelona, Valencia und Real Madrid wechselten sich als Titelträger ab, nach dem Sieg der Franquisten konnte auch das vorübergehend mit dem Team der Luftwaffe fusionierte Atletico einige Erfolge verbuchen. Doch ab den 1950er Jahren fand Real zu einer Stabilität, die den Klub zum unumstrittenen Rekordmeister machte. Begründet wurde der Mythos Real aber auf internationaler Ebene. 1955 wurde der Europacup der Landesmeister ins Leben gerufen, und die ersten fünf Jahre hieß der Sieger Real. Das Rezept von Präsident Santiago Bernabeu war schlicht, aber genial: Wenn man praktisch ausschließlich mit Ticketverkäufen Geld einnimmt, bringt das größte Stadion das meiste Geld. Maximierung! Ein Starensemble – mit Alfredo Di Stefano, Francisco Gento, Raymond Kopa und später Ferenc Puskas – in einem gigantischen Stadion. Und mit einer Prise Protektion?
„Dass der Klub vom Franquismus profitierte, ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem beim Bau eines Stadions für 100.000 Zuschauer, das sich Santiago Bernabeu in den Kopf gesetzt hatte, als er 1943 Präsident geworden war.“ – Javier Caceres beschreibt in seinem Buch „Futbol“ die Beziehung zwischen Verein und Regime, in der beide einander immer wieder nützlich waren. So soll Material, das eigentlich für den Bau des Madrider Flughafens und ein faschistisches Heldendenkmal bestimmt war, den Weg ins Fundament des heutigen Bernabeu-Stadions gefunden haben. Zement war Mangelware, dennoch wurde 1954 die Kapazität auf 125.000 Zuschauer erweitert. Dafür sonnte sich das politisch nach dem Zweiten Weltkrieg isolierte Spanien in den sportlichen Erfolgen Reals, auch wenn Diktator Franco selbst das Angeln und Jagen dem Fußball vorgezogen haben soll. Bernabeu modernisierte die Vereinsstrukturen und formte ein Team, von dem Augenzeugen noch Jahrzehnte später schwärmten: die Proto-Galacticos.
Revolution in der Diktatur
„Real Madrid hat seinen Mythos, und was haben wir?“ – Das mögen sich die Katalanen in den 1970er Jahren gefragt haben. Im Herbst der Diktatur zehrte der FC Barcelona nur von seiner Symbolkraft für die unterdrückte katalanische Identität. Ein Coup musste her. Von Ajax, fußballerische Avantgarde und Sieger im Landesmeistercup, kam 1971 Trainer Rinus Michels, doch der Erfolg wollte sich nicht einstellen. 13 Jahre ohne Meistertitel, so konnte es nicht weitergehen. Im Sommer 1973 folgte Ajax’ Star und Regisseur, Johan Cruyff, für die Rekordsumme von einer Million Dollar. Er kam, wie es der Schriftsteller Vazquez Montalban nannte, aus „Nord-Europa, Erste-Klasse-Europa – dem modernen, wohlhabenden, demokratischen Kontinent, zu dem die Katalanen auch bald gehören wollten“. Cruyff wurde am Flughafen von den Fans hoffnungsvoll erwartet. Der Journalist Simon Kuper beschreibt in seinem Buch „Barca“ ein Video seiner Ankunft: „Es ist, als ob ein Gesandter aus den 1970ern – lange Haare, knochiges Rauchergesicht, Halsketten und Hemd mit breitem Kragen – in den 1950ern gelandet wäre.“ Cruyff habe nicht nur modisch einen Schritt zurück gemacht: „Der beste Spieler der Welt tauschte das beste Team der Welt gegen einen Verein von Verlierern in einer heruntergekommenen, provinziellen Stadt, in einer rückständigen Liga, in einer verarmten Diktatur.“
Kuper, Kolumnist der Financial Times, verbringt derzeit ein Jahr in Madrid, plant aber kein Buch über Real, wie er dem ballesterer im Videogespräch verrät. Vielleicht auch wegen seiner Kindheit, die hat er nämlich zum Großteil in den Niederlanden verbracht, dort wurde ihm Fußball à la Cruyff eingeprägt. „Wir Glücklichen haben Jahre von Cruyffs Bewegungen und Dekaden seiner Interviews in unseren Gehirnen gespeichert. Der totale Cruyff ist unser Geheimnis“, schreibt er. In sein neues Buch über den Aufstieg und Niedergang des FC Barcelona lässt Kuper Jahrzehnte der Recherche einfließen. Das Team aus Verlierern, das bei Cruyffs Ankunft 1973 nach acht Spieltagen auf Rang 14 lag, hat mit ihm die restlichen 24 Spiele nicht mehr verloren, demütigte Real Madrid 5:0 und beendete die Durststrecke mit einem Meistertitel. Cruyff und der Fußball, den er repräsentierte, wurden der sportliche Mythos des FC Barcelona. Das offensive, kreative, gewagte Element dieses Stils entsprach dem Selbstbild der Katalanen. Cruyffs fulminantem Meistertitel in der Debütsaison sollten als Spieler keine weiteren folgen, 1978 verließ er den Verein. Das 4-3-3 und ein auf Ballbesitz und Pressing ausgerichtetes Spiel blieben, sie wurden zum Markenkern des FC Barcelona.