Cristiano Ronaldo wird beschuldigt, vor neun Jahren eine Frau – sie heißt Kathryn Mayorga – vergewaltigt zu haben. Der Spiegel berichtet über den Fall, hat mit Mayorga gesprochen und legt Dokumente vor, die ihre Aussage stützen. Ronaldo leugnet die Vorwürfe und spricht von einvernehmlichem Sex. Es gibt polizeiliche Ermittlungen und eine Zivilklage von Mayorga gegen Ronaldo. Das wissen wir. Die Wahrheit darüber, was vor neun Jahren in Las Vegas geschehen ist, kennen wir nicht, und das wird vielleicht auch so bleiben.
Was sich jedoch ganz ohne Schuld- oder Freispruch, ohne das Eingeständnis einer Vergewaltigung oder einer Falschbezichtigung beurteilen lässt, sind die Reaktionen auf die Berichterstattung. Und sie erzählen viel über den modernen Fußball, seine Machtstrukturen und Geschlechterverhältnisse. Seit Jahren gehört Ronaldo zu den bestverdienendsten Sportlern der Welt. In der jüngsten Liste der Topverdiener sind die ersten 100 Namen männlich. Das ist kein Zufall. In einer patriarchalen Gesellschaft bildet der Sport ein kleines Superpatriarchat. Frauen haben hier wenig zu sagen, sie führen keine Vereine und Verbände, es geht nicht um ihre Siege und Niederlagen. Gesichter und Geschichten mächtiger Frauen im Sport gibt es kaum, sie reichen in den VIP-Logen den Sekt herum und sind dekorative Begleiterinnen an der Seite der Stars. Diese Bilder begleiten unseren Blick auf das, was zwischen Ronaldo und Mayorga geschehen ist, ob wir wollen oder nicht.
Mehr als 140 Millionen Menschen folgen Cristiano Ronaldo auf Instagram, 120 Millionen auf Facebook – fast so viele wie Real Madrid und Juventus zusammengenommen. Facebook-Likes, Instagram-Follower und Namen auf Trikots sind nicht bloßes Marketing, sie haben auch eine emotionale Bedeutung: Sie stellen Nähe her. Ich glaube den Mann zu kennen, dessen Trikot ich trage, der Bilder vom Training, aus der Kabine und seinem Wohnzimmer mit mir teilt. Ich glaube zu wissen, wozu er fähig ist – und wozu nicht. Ronaldo hat gut bezahlte Juristen an seiner Seite, die ihn vor Gericht vertreten, und Millionen Ehrenamtliche, die ihn in den sozialen Netzwerken verteidigen.
Dass sich auch Juventus hinter seinen Spieler stellt, ist nicht überraschend. Die zynische Solidaritätserklärung erlaubt jedoch einen tiefen Blick ins kalte Herz des Profisports. Jeder bei Juventus schätze Ronaldos Professionalität, er sei ein großer Champion, twitterte der Klub. Daran würden auch Ereignisse vor fast zehn Jahren nichts ändern. Diese Botschaft kommt aus einer Welt, die sich abgehoben wähnt von jeglicher Verantwortung, die über die Berechnung der Flugkurve eines Freistoßes hinausgeht. Die Idee, dass sportlicher Erfolg jedes Verbrechen ausgleichen könne, findet sich auch in Headlines wie „Ronaldo ballert die Negativschlagzeilen weg“. Ganz so, als sei der Sport eine Parallelwelt, in der die Torquote als Wertemaßstab dient. Doch ein großer Spieler ist noch lange kein großer Mensch.
Der Starkult des Profifußballs stellt eine trügerische Nähe her, der Fokus auf sportlichen Erfolg eine ebenso trügerische Distanz. Seine Fans glauben Ronaldo zu kennen, sein Verein präsentiert ihn als großen Champion. Beides führt dazu, dass das Mitgefühl den Mächtigen vorbehalten bleibt.