2013 zog das Magazin World Soccer 70 Experten zu Rate, um die besten Trainer der Geschichte zu küren. Auf Platz neun landete der gebürtige Budapester und Wahl-Wiener Bela Guttmann. In seiner 40-jährigen Karriere hat er quer über den Erdball Klubs trainiert, 13 Titel gesammelt, zweimal mit Benfica den wichtigsten Bewerb auf Vereinsebene gewonnen, taktische Revolutionen angezettelt, Gegnerbeobachtungen erfunden, sich mit arroganten Spielern zerstritten und mit sierigen Vereinspräsidenten zerkracht. So komplex wie seine Wirkung, so einfach war seine Idee vom Fußball. Es gehe darum, Tore zu schießen und zu gewinnen, sagte er. „Wenn Sie mit einem Mädel zusammen sind, dann wollen Sie doch auch nicht immer nur küssen und schmusen, sondern zum Abschluss kommen“, erklärte er seinen Spielern.Obwohl Guttmann ein Auge für gute Fußballer hatte, tat er sich mit Individualisten schwer. Und er wusste, dass seine Arbeit einen Wert hatte. Als wohl erster Trainer weltweit handelte er gut dotierte Verträge und Bonuszahlungen aus, die allerdings kein langes Engagement versprachen. Wegen seiner Sturheit und der fehlenden Weitsichtigkeit der Klubbosse blieb er nirgends lange unter Vertrag. Wurden seine Autorität oder seine Expertise infrage gestellt, zog er weiter. Seine Konstante war nur die Heimkehr nach Wien.
Zurück nach Wien
Erstmals kehrt Bela Guttmann im Sommer 1932 nach Wien zurück. Davor hat er in sechs Jahren als Profi in den USA das schöne Leben kennengelernt und war beliebt – zumindest solange er Geld hatte und erfolgreich war. Der Börsencrash macht ihn nahezu mittellos. „Plötzlich lachte niemand mehr über meinen Schmäh, grüßte mich keiner mehr, wurde ich nirgends mehr eingeladen“, wird Guttmann später sagen. Es war Zeit für den mittlerweile 33-Jährigen, nach Wien zurückzukehren. Doch 1932 ist kein guter Zeitpunkt, um als Jude nach Wien zurückzukommen. In Deutschland wird wenig später Adolf Hitler an die Macht gelangen, der Antisemitismus sich auch in Österreich radikalisieren. Guttmann kehrt dennoch zur Hakoah zurück. Dort hatte er sich 1925 zum ersten Profimeister in Kontinentaleuropa gekürt. Nach einer Saison beendet er 1933 seine aktive Karriere. Er bleibt beim Verein und versucht sich erstmals als Trainer.
Die Mannschaft trifft schon bald das gleiche Schicksal wie 1926. Damals haben sich wichtige Spieler wie Guttmann nach einer Amerika-Tournee abgesetzt, 1932 passiert es nach einer Frankreich-Tournee. Danach entgeht die Hakoah zweimal knapp dem Abstieg, nichts deutet auf eine große Trainerkarriere hin. Guttmann geht. Der bestens vernetzte ÖFB-Verbandschef Hugo Meisl vermittelt ihn 1935 in die Niederlande zum SC Enschede. Bei dem Mittelständler verhandelt Guttmann eine Meisterprämie aus. David Bolchover schreibt in seiner Biografie „The Greatest Comeback“, der Klubpräsident sei in helle Panik ausgebrochen, als Guttmann sich anschickte, den Titel tatsächlich zu holen. Erst zwei Niederlagen gegen den späteren Meister Feyenoord stoppen Enschede. Nach zwei Saisonen in den Niederlanden geht Guttmann. Zurück in Wien übernimmt er erneut die Hakoah. Der politische Wind ist noch einmal bedrohlicher geworden. Knapp zwei Monate vor dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich besorgt sich Guttmann ein Visum für die USA und reist in New York ein. Bolchover mutmaßt, dass er sich durch einen Residenzstatus in den USA absichern wollte, um jederzeit zurückkehren zu können. Doch nach der Machtübernahme der Nazis zieht es Guttmann nach Budapest.
Überleben in Budapest
Er hat ein Angebot von Ujpest erhalten, es wird seine erste große Herausforderung. Der Klub hat 1929 den Mitropa-Cup gewonnen, ist in den 1930er Jahren viermal Meister geworden und Heimat zahlreicher Teamspieler, die gerade in Frankreich Vizeweltmeister geworden sind. Guttmanns Team um den Stürmer Gyula Zsengeller holt in seiner ersten Saison das Double und den Mitropa-Cup. Klubpräsident Lipot Aschner schreibt zwei Tage nach dem Finale gegen den Stadtrivalen Ferencvaros an Guttmann, er könne Trainer bleiben, bis er einen langen weißen Bart habe. Guttmann hätte stattdessen lieber ein höheres Gehalt. Denn er versucht, den Status des Trainers neu zu definieren. Bis dahin galten den Funktionären die Spieler als wertvolles Material, der Trainer hingegen als auswechselbar. Man konnte eben Glück oder Pech mit ihnen haben. Guttmann hin gegen will für seine Leistungen als Experte entlohnt werden. „Er war der Meinung, dass der Trainer die totale Kontrolle braucht“, sagt Biograf-Bolchover dem ballesterer. „Weder Spieler noch Vorstand sollten ihn daran hindern, seine Ideen umzusetzen.“ Ujpest-Präsident Aschner lehnt die Forderungen ab. Guttmann geht. Seine Trainerlaufbahn wird von den weltpolitischen Ereignissen unterbrochen. Ungarn ist zunächst Bündnispartner, dann De-facto-Vasall des Deutschen Reichs. Ab 1944 weitet sich unter der Kollaborationsregierung die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung aus. Zu den Opfern zählt Aschner, der ins KZ Mauthausen deportiert wird. In seine Villa zieht SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann ein.
Auch die Familie Guttmann wird verfolgt. Bela Guttmanns Vater Abraham, seine Geschwister Ervin und Szeren werden in Auschwitz ermordet. Darüber, wie er selbst die Shoah übersteht, ranken sich lange Zeit Gerüchte. Zunächst kann er bei seinem nicht-jüdischen Schwager Pal Moldovan untertauchen, der Bruder seiner zukünftigen Frau Maria versteckt Guttmann auf dem Dachboden über seinem Friseursalon. Später habe er sich zum Arbeitsdienst gemeldet, um den Moldovans Unheil zu ersparen, mutmaßt Biograf Bolchover. „Danach war er in Arbeitslagern in Budapest und Vac.“ Als die Häftlinge deportiert werden sollen, hat Guttmann Glück. Dank unbekannter Helfer gelingt ihm die Flucht, und er kann sich bis Kriegsende wieder bei den Moldovans verstecken. Viel sprechen wird Guttmann über diese Zeit nie.
Revolution in Ungarn
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs findet Guttmann schnell wieder einen Job im Fußball, zunächst engagiert er sich bei Vasas Budapest. Als er den Funktionären am Vorabend der Spiele die Aufstellung nicht verraten will, lancieren diese eine Pressekampagne gegen ihn. Guttmann geht. Bei einem Kurzgastspiel in der rumänischen Provinz zahlt ihm ein vermögender Vereinsinhaber 700 Dollar monatlich. Aber es zieht ihn zurück nach Budapest. Nach einem Intermezzo bei seinem Ex-Klub Ujpest wird er 1947 Trainer bei Kispest, das zwei herausragende Talente in seinen Reihen hat: Jozsef Bozsik und Ferenc Puskas.
Budapest wird damals zum Zentrum der Fußballwelt, denn unter der Leitung von Gustav Sebes schließen sich die führenden Köpfe des Sports, darunter Guttmann, zum Gedankenaustausch zusammen. Ihnen gelingt eine Revolution. Sie entwickeln aus dem taktisch vorherrschenden WM-System ein extrem offensives 4-2-4. Die Spielanlage soll zum Markenzeichen Guttmanns werden und Ungarn damit über Jahre hinweg den Weltfußball dominieren: Als Goldene Elf, die 1953 England in Wembley 6:3 schlägt und 1954 Vizeweltmeister wird, geht sie in die Geschichte ein.