„Ich bin schon mein ganzes Leben lang Newcastle-Fan“, sagt John Hird. Der 61-Jährige kann sich an den letzten Titel, den Sieg im Messestädte-Cup 1969, und die verlorenen FA-Cup-Finale vor mehr als 20 Jahren erinnern. Bald könnte es für Newcastle neue Erfolge geben, der Klub kämpft um die erste Champions-League-Qualifikation seit 2002 und steht Ende Februar im Ligacupfinale. Doch Hird kann sich darüber nicht freuen. Denn das Geld, mit dem der Klub auf dem Transfermarkt um sich wirft, kommt aus Saudi-Arabien. Im Oktober 2021 übernahm der staatliche Fonds PIF, dem Kronprinz Mohammed Bin Salman vorsteht, Newcastle United. Manche Fans feiern die Übernahme, andere wie Hird mobilisieren dagegen. Er gründete die Initiative „NUFC Fans Against Sportswashing“, die via Twitter, Fanzine und Aktionen vor dem Stadion protestiert. Ihr Ziel ist schnell beschrieben: „Wir wollen die saudischen Diktatoren aus unserem Klub schmeißen.“
ballesterer: Was war Ihre Reaktion auf die Übernahme von Newcastle United?
John Hird: Ich war vom ersten Tag an dagegen – und ich war nicht der einzige. Manche haben erst nach und nach verstanden, dass ein mörderisches Regime unseren Klub übernommen hat. Andere haben beschwichtigt. Die Premier League hat behauptet, sie hätte Zusicherungen, dass sich der saudische Staat nicht in die operative Leitung einmischen werde. Jetzt machen wir Trainingslager und Testspiele in Saudi-Arabien, werden von einer saudischen Luftlinie gesponsert und haben einen saudischen Ärmelsponsor.
Wie ist Ihre Gruppe entstanden?
Manche Leute haben nach der Übernahme entschieden, einfach nicht mehr zu den Spielen zu kommen, aber von ihnen hört man auch nichts. Ich habe mich so geärgert, dass ich noch am selben Tag einen Artikel für ein Fanzine geschrieben habe. Andere Fans haben den Twitter-Account @NoSaudiToon eingerichtet, wir haben uns zusammengeschlossen und ein Onlinemeeting mit etwa 30 Leuten organisiert. Daraus ist die Kampagne „NUFC Fans Against Sportswashing“ entstanden.
Wie sieht der Großteil der Tribüne die Übernahme?
Fairerweise muss ich sagen, dass nur eine kleine Gruppe das Regime unterstützt. Die anderen haben sich gefreut, dass Mike Ashley endlich weg ist. Viele stecken den Kopf in den Sand, sie blenden all die schlechten Dinge über die Saudis aus und rechtfertigen den Einstieg mit der vermeintlichen Stärke von Newcastle. So nach dem Motto: „Sie haben unseren Klub gewählt, um den schlafenden Riesen zu wecken.“
Was war das Problem mit dem vorherigen Besitzer Ashley?
Erstens die katastrophale Führung des Klubs und die mangelnden sportlichen Ambitionen. Zweitens hat er als Unternehmer die Angestellten in seiner Firma Sports Direct wahnsinnig schlecht behandelt und bezahlt. Die Fanproteste haben über Jahre hinweg stattgefunden, auch die Gewerkschaften haben sich beteiligt, es hat Demonstrationen auf dem Firmengelände und in Filialen gegeben. Ich war einer derjenigen, die „Ashley raus“ gerufen haben.
Anders als Ashley stecken die neuen Besitzer viel Geld in den Klub – und Newcastle spielt wieder erfolgreich. Wie wirkt sich das aus?
Die Saudis haben eine sehr geschickte PR-Strategie, die sie um viel Geld von einer amerikanischen Beratungsfirma umsetzen lassen. Sie versuchen, möglichem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie bringen die Leute dazu, nur an den Sport zu denken. Und die Fans sehnen sich danach, wieder oben mitzuspielen. Aber es ist ein Geschäft mit dem Teufel. So etwas endet immer schlecht.
Gehen Sie weiter ins Stadion?
Nein. Das wäre heuchlerisch. Aber wir rufen die Leute nicht zum Boykott auf, jeder muss das für sich entscheiden. Wir wollen aufklären, was die Übernahme bedeutet – nicht nur für Newcastle, sondern für die Entwicklung des Fußballs. Die Übernahme von Manchester City durch die Vereinigten Arabischen Emirate ist fast 15 Jahre her, und wir haben nichts dagegen getan. Wenn wir Newcastle jetzt auch aufgeben, was ist das Nächste? Verkaufen wir Klubs an den Iran, Nordkorea, China, die USA?
Welche Rolle spielt die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien?
Ich möchte nicht, dass unser Klub mit einem blutigen Regime in Verbindung gebracht wird. Der Vorstandsvorsitzende ist Saudi. Wenn er oder andere Vertreter des Regimes Spiele besuchen, berichtet die lokale Presse nicht über ihre Verbrechen, sondern es heißt „Applaus für die Saudis, toll, dass sie in den St. James’ Park kommen.“ Die lokalen Labour-Politiker haben sich früher oft kritisch über Saudi-Arabien geäußert, seit der Übernahme passiert das nur noch selten. Alan Shearer, einer unserer größten Spieler, hat gesagt, durch den Dialog können wir die moderaten Kräfte in Riad stärken. Aber was ist passiert? Ein halbes Jahr nach der Übernahme hat es Massenhinrichtungen von mehr als 80 Menschen gegeben.
Im November hat Ihre Kampagne mit Transparenten protestiert. Sie haben die Gesichter von Inhaftierten in Saudi-Arabien gezeigt.
Ja, dort werden Menschen wegen Nichtigkeiten ins Gefängnis gesteckt. Im August sind zwei Frauen zu Haftstrafen von 34 und 45 Jahren verurteilt worden, weil sie regimekritische Postings geteilt oder gelikt haben. Zur selben Zeit ist in Newcastle das Frauenteam in den Klub eingegliedert worden. Miteigentümerin Amanda Staveley spielt bei der Außendarstellung eine wichtige Rolle, aber sie hat den Deal mit Saudi-Arabien überhaupt erst eingefädelt. Das alles ist ein massiver Widerspruch. Aber genau das ist der Kern von Sportswashing – durch den Sport davon abzulenken, was jenseits des Platzes passiert.
Welche Reaktionen erleben Sie?
Auf Social Media sind uns schon körperliche Angriffe angedroht worden, aber wir haben auch gute Netzwerke knüpfen können. Eine saudische Menschenrechtsorganisation informiert uns zum Beispiel über Fälle von Minderjährigen, die zum Tode verurteilt werden, was gegen internationales Recht verstößt. Wir schreiben in unserem Fanzine darüber und bekommen dann Reaktionen wie „Das sind ja Terroristen“. Auch wenn alle Fans wahrscheinlich von sich behaupten würden, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sein, hören wir, wenn es um die konkreten Fälle geht, dann oft: „Wir können ja nichts dagegen tun.“ Aber ich teile diese Vorstellung nicht, dass Fans keine Macht hätten.
Wie hätte die Übernahme verhindert werden können?
Roman Abramowitsch ist im letzten Jahr die Führung von Chelsea entzogen worden, er ist als nicht mehr geeignet befunden worden. Das muss doch auch für Newcastle und Saudi-Arabien gelten. Die Premier League hat ein Verfahren, mit dem sie die Eigentümer von Klubs überprüft. Dass sie die Übernahme von Newcastle erlaubt hat, war ein Fehler. Angeblich sollen Mitglieder der konservativen Regierung Druck ausgeübt haben.
Sind Sie in Kontakt mit anderen Fangruppen?
Wir haben Gastbeiträge im Fanzine True Faith veröffentlicht, allerdings war dort eine Anmerkung vorangestellt, dass der Text nicht die Meinung der Redaktion widerspiegelt. Ich bin sicher, dass die Fanzinemacher gegen Homophobie und Sexismus sind. Aber wenn wir darauf hinweisen, dass das in Saudi-Arabien zum Alltag gehört und die Eigentümer unseres Klubs Teil davon sind, werden wir kritisiert. Die queere Fangruppe von Newcastle, „United with Pride“, ist im Dialog mit dem Klub, sie trifft sich mit Staveley. Ich verstehe das nicht: Gelten Rechte für queere Menschen nur in Newcastle? Ist es egal, was in Saudi-Arabien passiert? Mir kommt es so vor, als gäbe es eine kognitive Dissonanz, ein Gefühl, als müssten wir diese Zugeständnisse machen, nur um wieder Spiele zu gewinnen.
Führen Sie Gespräche mit dem Klub?
Nein. Aber sie würden auch nicht mit uns reden wollen.
Glauben Sie, dass die WM in Katar eine Auswirkung auf die Diskussion hat?
Sie hat sicher mehr Aufmerksamkeit für das Thema Sportswashing gebracht. Im Nahen Osten findet gerade eine Art Wettbewerb um den größten Einfluss im internationalen Fußball statt. Es gibt Gerüchte, dass Katar gerne Manchester United oder Liverpool übernehmen würde. Der „Manchester United Supporters’ Trust“ und „Spirit of Shankly“, die größten Fangruppen der Klubs, haben trotz ihrer extrem stark ausgeprägten Rivalität ein gemeinsames Statement dazu veröffentlicht. Sie fordern die Regierung auf, die Eigentümerregel der Premier League zu verschärfen. Wir unterstützen das. Staaten sollte es verboten werden, Fußballklubs zu besitzen.