Dieser Text wurde im Mai 2020 mit dem Sports-Media-Austria-Preis in der Kategorie Print ausgezeichnet.
Die große Illusion
Nur eine große Wiese lässt mit viel Fantasie noch an Fußball denken. Sonst ist im Arbeiterstadtteil Lehen zwischen einem Einkaufszentrum, Wohnblocks und einer städtischen Bibliothek vom früheren Stadion nichts mehr zu sehen. Dabei drang der österreichische Fußball hier vor einem Vierteljahrhundert in neue Dimensionen vor. Das Lehener Stadion war die Heimstätte der Salzburger Austria, die 1994 erstmals Meister wurde, das UEFA-Cup-Finale erreichte, sich für die Champions League qualifizierte und in den folgenden drei Jahren noch zweimal den Titel holte. Einen Steinwurf entfernt arbeitet heute einer der Architekten des damaligen Erfolgs: Anton Pichler. Er kam 1992 zur Salzburger Austria, schon ein Jahr später wurde er Marketingchef des Vereins. Pichler hatte das Geschäft zuvor bei der Sportrechteagentur Telemundi in Wien gelernt. „Wir haben uns auf der ganzen Welt umgeschaut“, sagt er. „Der österreichische Fußball war in der Vergangenheit gefangen.“
Das sollte sich schnell ändern – dank einer Generation von liquiden Präsidenten und smarten Managern, die im Fußball das Geschäft ihres Lebens sahen. Vorreiter war Rudolf Quehenberger, dem die Fans später den Spitznamen „Sonnenkönig“ gaben. Im Sommer 1984 war der Spediteur der erste Millionär in Österreich, der sein Geld in den Fußball steckte. Zu dem Zeitpunkt war die Austria schwer angeschlagen. 1985 stieg der Verein in die Zweite Division ab, der Lokalrivale SAK in die Bundesliga auf. Der Klub war nicht einmal mehr in der eigenen Stadt die Nummer eins. Doch dann kamen Hans Krankl, Otto Baric, Heribert Weber, Oliver Bierhoff und viele mehr, und die Austria wurde die Nummer eins des Landes.
Quehenberger war nicht der Einzige, der den Klubs in den Bundesländern neues Selbstbewusstsein und frisches Geld einimpfte. 1986 übernahm Swarovski-Erbe Gernot Langes die Bundesliga-Lizenz von Wacker Innsbruck und gründete den FC Tirol, einige Jahre später stieg Hannes Kartnig beim SK Sturm ein. Die Bundesliga würde danach nicht mehr dieselbe sein. Es waren nicht nur die Millionen, die den österreichischen Fußball veränderten. Mit den neuen Gönnern und Präsidenten hielt auch ein neuer Geist Einzug: Marketing war das Gebot der Stunde. Auch Sponsoren wollten vom Glanz des Sports profitieren. Doch der Lack bekam bald erste Risse und fing zu Beginn des neuen Jahrtausends an, gänzlich abzublättern. Der FC Tirol und der GAK verloren die Lizenz, Sturm rettete sich nur um ein Haar, Austria Salzburg wurde von Red Bull übernommen. Viele der Funktionäre von damals wurden rechtskräftig verurteilt. Dazwischen lagen die wilden Jahre des österreichischen Fußballs.
VIOLETTER KAUFRAUSCH
Anton Pichler ist 29 Jahre alt, als er bei der Austria anfängt. Seine ersten Gehversuche unternimmt er aber nicht beim Fußball, sondern beim Eishockey. Der gebürtige Zeller arbeitet an der Modernisierung des EK Zell am See. „Das war Learning by Doing“, sagt Pichler. Bei der Austria steigt er schnell zum Leiter der neugegründeten Marketingabteilung auf – und geht ans Werk. Im November 1994 eröffnet im Lehener Stadion ein Fanshop. Er ist der erste eines österreichischen Vereins und trägt die Spuren der Improvisation. Genutzt werden leerstehende Räume im Stadion, die handwerklichen Arbeiten erledigt Pichler gemeinsam mit einem Freund. Der Fanshop schlägt voll ein. Schon wenige Monate später übernehmen andere Geschäfte Artikel aus dem violetten Sortiment. Zum Verkaufsschlager wird die Bettwäsche mit dem Vereinslogo um 549 Schilling. Neben klassischen Fanutensilien wie Dressen und Schals gibt es Uhren und Hygieneprodukte. Torschützenkönig Heimo Pfeifenberger wird eine eigene Shampoolinie gewidmet. „Der harte Kern der Fanszene hat das befremdlich gefunden“, sagt Pichler. „Aber der Großteil der Leute war begeistert.“
Nicht nur der Fußball ist damals im Umbruch, auch die Wirtschaft. Die staatliche Industrie schreibt im Laufe der 1980er Jahre zunehmend rote Zahlen. Unternehmen und Politiker versuchen mit Entlassungen und Privatisierungen gegenzusteuern. 1987 liegt die Arbeitslosenquote bei fast sieben Prozent, so hoch wie seit Beginn der 1950er Jahre nicht mehr. Das Machtgefüge im Parlament mit den zwei Großparteien SPÖ und ÖVP kommt ins Wanken, 1986 wird der erst 36-jährige Jörg Haider Parteichef der FPÖ und eilt von Wahlsieg zu Wahlsieg. Auch im Fußball endet eine alte Dominanz. Zwischen 1977 und 1988 kam der Meister immer aus Wien und hieß entweder Rapid oder Austria. Das Publikumsinteresse stagniert angesichts der Monotonie, 1986/87 hat die Liga einen Schnitt von 4.400 Zuschauern. Die wirtschaftlichen Umwälzungen setzen auch dem Fußball zu: 1991 lässt die VÖEST-Alpine ihre Werksvereine, den Donawitzer SV und den SK VÖEST, fallen. Im selben Jahr beendet die ÖMV ihr Hauptsponsoring bei Rapid. „Die Erfolge der Fußballer sind ja nicht berauschend“, sagt Siegfried Meysel, Chef des Mineralölkonzerns. „Wir haben eine neue Werbestrategie: hin zu Einzelpersonen.“
DAS ENDE DER GESELLSCHAFT
Meysel folgt dem Zeitgeist. So etwas wie Gesellschaft gebe es nicht, hat die englische Premierministerin Margaret Thatcher 1987 verkündet, nur einzelne Menschen – und die müssten auf sich schauen. Das Individuum und sein Streben nach Reichtum stehen bei den aufkommenden Neoliberalen hoch im Kurs. Und während in Westeuropa staatliche Firmen und Industrien privatisiert werden, löst sich der realsozialistische Widersacher, die Sowjetunion, in seine Einzelteile auf. Der Kalte Krieg ist zu Ende, der siegreiche Kapitalismus verspricht eine Welt voller Möglichkeiten. Überall ist Geld zu machen – am leichtesten, so scheint es, mit Aktien. In Österreich geht mit der ÖMV einer der größten Industriebetriebe 1987 an die Börse. Im Mai 1991 zeigt Manchester United, wie das im Fußball gehen kann. Wenige Monate später folgt der SK Rapid. Doch statt Geld machen die Wiener Schulden. Innerhalb eines Jahres sinkt der Kurs auf ein Drittel seines Werts, 1994 kann der Klub den Konkurs gerade noch vermeiden und geht in den Zwangsausgleich.
Auch die Salzburger Austria hat mit dem Börsengang geliebäugelt, doch das Hütteldorfer Fiasko dient als Warnung. Stattdessen intensiviert der Klub sein Marketing und erhält auf Pichlers Initiative ein neues Logo. Das alte viereckige mit der Burg Hohensalzburg weicht einem runden, in dessen Mitte ein Spieler prangt. „Der internationale Trend ging zu runden Wappen“, sagt Pichler. „Außerdem waren wir vorher auf die Stadt Salzburg beschränkt. Wir wollten ein Team für das ganze Land werden.“ Der Plan geht auf. Die Salzburger spielen in der erfolgreichen UEFA-Cup-Saison das Viertelfinale gegen Eintracht Frankfurt, das Halbfinale gegen den Karlsruher SC und das Finale gegen Inter nicht im Lehener Stadion, sondern im vollen Prater. Das schnell dazu aufgenommene Lied „Wir sind die Sieger“ schafft es in die Charts und wird im „Wurlitzer“ rauf- und runtergespielt. Mittelfeldstar Nikola Jurcevic und Co. sind beliebte Studiogäste in sämtlichen ORF-Formaten – vom Kinderfernsehen bis zu den Sportsendungen. Magazine wie das junge News widmen ihnen Porträts.
Das große Vorbild der schillernden Präsidenten trägt italienische Maßanzüge: Silvio Berlusconis AC Milan dominiert die Serie A und den Europacup.
Der Zeitpunkt für einen Machtwechsel ist günstig, denn die Wiener kommen mit dem neuen Tempo nicht mit. Während Rapid sich mit dem Börsengang fast selbst ruiniert, rutscht die Austria nach den drei Meistertiteln zu Beginn der 1990er Jahre ins Mittelfeld ab. 1994 wird sie noch Zweiter hinter den Salzburgern, das direkte Duell fünf Runden vor Schluss verlieren die Wiener aber 0:6. In den folgenden zwei Jahren wechseln Ralph Hasenhüttl, Walter Kogler und Christian Prosenik nach Salzburg. Auch Valdas Ivanauskas geht über den Umweg HSV zur anderen Austria.
Wild und geil
Nicht nur in Österreich toben Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im Fußball. In England sagen sich 1992 die 20 Erstligisten vom Ligaverband los, um ein Konkurrenzprodukt zu gründen. Fernsehen und Vermarktung versprechen neues Geld, um das es viel zu schade wäre, wenn man es mit weniger erfolgreichen Teams teilen müsste. Die UEFA kommt einer Revolution der Großklubs zuvor und führt sie gleich selbst durch. 1992 wird aus dem Landesmeistercup die Champions League. Sie bietet mit der Gruppenphase sportliche Garantien, mehr Spiele – und damit höhere Fernseheinnahmen.
1994 qualifizieren sich die Salzburger als erster österreichischer Klub. Die Plakette, auf der die Logos aller 16 Teilnehmer abgebildet sind, hat Anton Pichler noch heute in seinem Büro. Salzburg scheidet als Gruppendritter aus, in den Folgejahren gelingt die Qualifikation nicht mehr. Präsident Quehenberger wird mit der Austria nicht reich. Immer wieder muss er Geld in die Hand nehmen, um den Betrieb am Laufen zu halten. „Wir haben nie ernsthafte Probleme mit der Lizenzierung gehabt“, sagt Pichler. „Aber Quehenberger hat dafür hart gearbeitet.“
Zu Beginn der 1990er Jahre wirkt es wie ein erfolgreiches Geschäftsmodell: Ambitionierte Präsidenten zahlen aus der eigenen Kasse oder der ihres Unternehmens. Was bei Quehenberger die Spedition ist, ist bei Hannes Kartnig seine Werbefirma Perspektiven. Der FC Tirol bekommt sein Geld vom Swarovski-Erben Gernot Langes. Beim GAK nimmt ab 1991 Präsident Harald Fischl diese Rolle ein, der mehrere Unternehmensbeteiligungen und Immobilien besitzt. Als Grund für sein Engagement nennt er dem Falter einmal die eigene Geilheit. „Du willst dir selbst beweisen, dass du den Laden schmeißen kannst.“ Das große Vorbild der schillernden Präsidenten trägt italienische Maßanzüge: Silvio Berlusconis AC Milan dominiert die Serie A und den Europacup. Rudolf Novotny hat die Entwicklung in Österreich aus nächster Nähe verfolgt. Der frühere Austria-Manager gehörte 1989 zu den Gründern der Spielergewerkschaft Vereinigung der Fußballer. „Man kann über diese Leute sehr viel sagen“, sagt er. „Aber sie haben allesamt investiert wie die Wilden.“
Mächtige und Macher
Doch die Präsidenten brauchen Leute, die sich um das Tagesgeschäft kümmern. So hat jeder Bundesligist plötzlich seinen Manager. Der GAK hat Peter Svetits, der FC Tirol Robert Hochstaffl, beim LASK macht sich Max Hagmayr ans Werk, beim FC Linz Jürgen Werner, bei der aufstrebenden SV Ried Stefan Reiter und bei Rapid Werner Kuhn. „Wir Manager waren eine richtig gute Truppe“, sagt Pichler. Er berichtet von regelmäßigen Treffen und den intensiven Bemühungen, die Infrastruktur im Fußball zu verbessern. In Arbeitsgruppen erarbeiten die Manager Konzepte für Stadien, Ticketing und Übertragungsrechte. Selbstbewusstsein ist ein Markenzeichen. Peter Svetits bezeichnet sich 1999 nach seiner Wahl in den Bundesliga-Aufsichtsrat als deren geschäftsführender Präsident. Außer ihm wusste von dieser Funktion niemand. Max Hagmayr beschreibt sich im Gespräch mit den Oberösterreichischen Nachrichten als Retter des Vereins, der eine absolute Topmannschaft gebaut habe – doch besser als Fünfter werden die Linzer in seiner Amtszeit nie. Bemerkenswert ist auch die Karriere von Robert Hochstaffl: Der ehemalige Gendarm singt sich zu Beginn der 1980er Jahre mit der Schlagerband „Milser Musikanten“ in die Charts, 1992 wird er Moderator des Sat1-Wunschkonzerts.
Die Manager sehen sich als Modernisierer. Für neue Konzepte gilt es, alte Gewohnheiten zu brechen, Grenzen zu überwinden. Für den einen oder anderen bedeutet der viel zu gierige Staat mit Steuern und Lohnnebenkosten einen Wettbewerbsnachteil, der kompensiert werden muss. Sie zahlen ihre Spieler schwarz. „Das war damals fast überall so“, sagt Gewerkschafter Novotny. „Beim GAK hat es geheißen, dass sie 90 Prozent ihrer Gehälter schwarz zahlen. Das haben sie dann im Laufe der Zeit auf die Hälfte reduziert und waren irrsinnig stolz.“ Viele Spieler hätten damit kein großes Problem gehabt. „Sie haben gemeint: Was interessiert mich ob brutto oder netto. Ich will es bar auf die Hand“, erzählt Novotny, der in den 1990ern versucht, Mitglieder für die VdF zu rekrutieren. „Wir haben da erst ein Bewusstsein schaffen müssen.“
Einfach machen
Das Bosman-Urteil von 1995 hat den europäischen Spielermarkt liberalisiert, die Gehälter steigen auch in Österreich enorm. Nirgends sind sie hoch wie beim FC Tirol, der endlich wieder oben mitspielen will. Nach drei Meistertiteln ist Präsident Langes 1992 ausgestiegen. Der Verein rutscht ins Mittelfeld ab, da helfen auch Großeinkäufe im Sommer 1994 nichts. Drei Jahre später übernimmt Martin Kerscher das Präsidentenamt. Die Tiroler Wirtschaft ziert sich, große Summen in den Klub zu stecken, die Fußballbegeisterung hält sich in Grenzen. Doch mit dem neuen Mann soll wieder etwas gehen. Der Kitzbühler Kerscher ist Ende der 1970er Jahre von Skilehrer auf Sportartikelhändler umgesattelt. Keine zehn Jahre später wird er Generalimporteur von Nike, 1993 Chef von Nike Österreich. „Eigentlich wollte ich nicht Präsident werden, aber sie haben jemand für das Amt gesucht“, sagt er heute. „Dann habe ich mir gedacht: Wieso nicht? Mir ist bis jetzt ja alles aufgegangen.“ „Just do it!“, schreibt Fred Steinacher in der Tiroler Tageszeitung. Auch Kerscher selbst spuckt große Töne: „Tirol muss wieder Meister werden“, sagt er bei seiner Antrittspressekonferenz.
Zunächst tut sich der Verein schwer. Kerscher will kein eigenes Geld investieren, dennoch schlägt der FC Tirol am Transfermarkt zu: Im Laufe der Saison 1998/99 kommen Markus Anfang und Radoslaw Gilewicz aus der deutschen Bundesliga und Walter Kogler vom LASK. Die Gehälter sind nach Kurier-Berichten in Tirol mehr als doppelt hoch wie bei Rapid, für die Siegesprämien gilt dasselbe. Trainer wird im Jänner 1999 Kurt Jara. Kerscher hofft, dass er das Tivoli „wieder zum Brennen bringt“. Woher das Geld für die Transfers und Gehälter kommt, wird die Behörden erst Jahre später interessieren. Denn das Tivoli brennt wirklich wieder: Vor knapp 14.000 Zuschauern fixiert der FC Tirol am 28. Mai 2000 mit einem 2:1 über die Wiener Austria am letzten Spieltag die Meisterschaft vor dem SK Sturm, der dank Hannes Kartnig und Ivica Osim die letzten beiden Titel gewonnen hat. „Ich habe schon immer davon geträumt, seit ich vor drei Jahren das Präsidentenamt übernommen habe. Jetzt ist der Traum Wirklichkeit“, sagt Kerscher nach dem Spiel.
Der Druck steigt
Das Meisterschaftsfinale ist eines der letzten Spiele im alten Tivoli. Knapp drei Monate später eröffnet der Neubau. Finanziert wird das Stadion von der Stadt Innsbruck, dem Land Tirol und der Republik Österreich. Ausschlaggebend ist die Bewerbung von Österreich und Ungarn für die Austragung der EM 2004. Die neue Heimstätte soll ein Schmuckstück werden, als eines der modernsten Kleinstadien Europas bezeichnet es News vor der Eröffnung. Es ist zumindest das erste Stadion des Landes, in dem es Logen gibt, in denen Unternehmer Geschäft und Unterhaltung kombinieren können – vor dem Besuch im Restaurant des Stadions. „Den Tivoli-Neubau hat uns die Politik versprochen“, sagt Kerscher. „Da habe ich noch einmal Mut geschöpft.“
Während das neue Tivoli glänzt, gehen bei vielen kleineren Klubs die Lichter aus. Im Sommer 1997 wird der Nachfolgeverein des SK VÖEST, der FC Linz, dem LASK einverleibt. Fast zeitgleich wird aus Admira/Wacker und dem VfB Mödling ein Verein, die Fusion soll den finanziellen Kollaps verhindern. Die VSE Sankt Pölten, bei der Ende der 1980er Jahre noch Weltmeister Mario Kempes auflief, muss 1995 in den Zwangsausgleich und verliert 1999 die Lizenz. Im selben Jahr erwischt es Vorwärts Steyr. Auch bei den großen Klubs nimmt die Verschuldung zu, sie sind auf ihre Geldgeber angewiesen. Und die Präsidenten und Manager, sie haben sich zu tief in ihre Projekte verstrickt. Ans Aufhören ist nicht zu denken.
1998 tritt einer an, der die Probleme lösen will. Seine Mittel übersteigen jene der Vereinszampanos um ein Vielfaches. Er wird den Fußball für die kommenden Jahre prägen: Frank Stronach wird 1999 Präsident der Bundesliga, nachdem er zuvor fast jedem Bundesligisten Geld überwiesen hat. Vorwärts Steyr erhält aus Goodwill, wie er sagt, zehn Millionen Schilling, bei der Salzburger Austria sollen es 30 Millionen sein.
„Sie haben uns verarscht, und wir haben uns zum Affen gemacht.“
Das Monopol schlägt zurück
Doch nur aus gutem Willen lässt sich Stronach nicht zum Präsidenten wählen. Ihm schwebt ein privater Sportsender vor, mit Livefußball, Talkshows und Sportwetten. Vorbilder dafür gibt es im Ausland: In England hat Rupert Murdoch sich mit seinem Sender Sky die TV-Rechte der Premier League gesichert, in Deutschland investiert Leo Kirch in die Bundesliga, die live im Pay-TV bei Premiere läuft und seit 1997 in der Zusammenfassung bei Sat1, wo das Format „ran“ den Fußball als Show inszeniert. In Italien kämpfen gleich mehrere Pay-TV-Sender um die exklusivsten Spiele. Wie man mit Privatfernsehen reich werden und noch dazu einen Fußballklub zum Erfolg führen kann, hat Berlusconi dort vorgemacht. Angefangen hat er mit einem kleinen Lokalsender in Mailand und im Laufe der 1980er Jahre das Rundfunkmonopol der RAI gebrochen. Auch Stronach will den öffentlich-rechtlichen Monopolisten herausfordern. Bündnispartner findet er in den Fußballklubs und deren Managern. Die sind schon lange nicht mehr zufrieden mit den TV-Geldern. 1996 haben sie die Übertragungsrechte an Kirchs Sportrechteagentur ISPR abgegeben: 120 Millionen Schilling gibt es dafür, statt wie bisher 75 vom ORF. ISPR verkauft die Übertragungen an den ORF weiter und erstmals für ein Spiel pro Runde an Sat1. „Ein echter Erfolg“, sagt Pichler. „Aber das große Geld war das natürlich nicht.“ Im internationalen Vergleich hinkt die Liga hinterher. Die Premier League bekommt fast 30-mal so viel, die deutsche Bundesliga das 15-Fache.
Als das „Sinnloseste im heutigen Medienzeitalter“ bezeichnet Ried-Manager Reiter das ORF-Monopol, GAK-Kollege Svetits sagt dem Kurier: „Der Fußball muss über das Fernsehen verkauft werden, nur macht der ORF trotz oder gerade wegen des Monopols zu wenig daraus.“ Zum Geschäftsführer seines Projekts beruft Stronach Anton Pichler, der im Jahr davor von der Austria zur Kirch-Gruppe gewechselt war. Doch der Plan geht nicht auf. Zum einen soll Stronachs Sender schon im Jahr 2000 mit der Übertragung starten, die Vermarktungsrechte sind aber bis 2004 verkauft. Aus diesem Vertrag kommen die Klubs nicht heraus. Zudem erklärt der ORF, selbst einen Sportsender lancieren zu wollen. Der staatliche Rundfunk hält die exklusiven Rechte für die Champions League, die Formel 1 und Skirennen. Stronach ist ausgebremst. „Das war eine politische Entscheidung“, sagt Pichler. „Und eine, die die Entwicklung des Fußballs gehemmt hat.“ Eine Partnerschaft mit dem ORF lehnt Stronach ab. Nur wenige Monate nach seiner Wahl zum Bundesliga-Präsidenten kündigt er an, stattdessen bei einem Wiener Klub investieren zu wollen.
Weiter, immer weiter
Im neuen Tivoli ist indes die Hölle los – nicht nur auf dem Rasen und den Rängen, auch in der Geschäftsstelle. Offiziell beläuft sich der Schuldenstand zu Beginn der Saison 2000/01 auf 50 Millionen Schilling. 2012 entscheidet ein Gericht, dass der Verein schon ab 1999 zahlungsunfähig war. Weitermachen kann der Klub, weil die Bundesliga die Lizenzkriterien nicht ernst nimmt und Gönner einspringen. Ex-Präsident Gernot Langes unterschreibt mehrere Bankgarantien, 2000 übernimmt der oberösterreichische Industrielle Othmar Bruckmüller ein Drittel der Verbindlichkeiten. „Ich habe mich verschätzt“, sagt Kerscher heute. „In Tirol gibt es das Geld für erfolgreichen Fußball einfach nicht. Die Wirtschaft hat daran kein Interesse.“
Also lässt sich der Verein auf windige Partner ein. 2001 bietet das US-amerikanische Unternehmen Parker Leasing über einen Mittelsmann einen Kredit in Höhe von 18 Millionen Euro an. Hochstaffl nimmt das Angebot an – und überweist eine Provision von knapp 850.000 Euro. Danach verschwindet der Vermittler ebenso wie Parker Leasing. Den Kredit erhalten die Tiroler nie. „Wir waren in deren Büro in Fort Lauderdale“, sagt Kerscher. „Das hat sehr seriös gewirkt. Sie haben uns verarscht, und wir haben uns zum Affen gemacht.“
Auch die sportlichen Erfolge reichen längst nicht mehr für eine Konsolidierung. Zwar verteidigt der FC Tirol seinen Meistertitel zweimal, doch in der Champions-League-Qualifikation scheitert er. Manager Robert Hochstaffl will das Geschäft mit allen Mitteln am Laufen halten. „Er war ein guter Manager“, sagt sein damaliger Vorgesetzter Kerscher. „Aber er hat damals eine irrsinnige kriminelle Energie entwickelt.“ Hochstaffl gründet in Thüringen eine Firma, die die Persönlichkeitsrechte der Spieler verwalten und ihnen den Großteil des Gehalts zahlen soll. Ein steueroptimierendes Konstrukt, wie es heißt. Das aber ist nicht alles. Zusätzlich habe Hochstaffl den Spielern eigenmächtig Schecks geschrieben, die im Vereinsbudget nicht aufgetaucht seien, erzählt Kerscher. „Ich war die meiste Zeit in Kitzbühel“, sagt er. „Ich habe die Kontrolle darüber verloren, was in der Geschäftsstelle passiert.“
Hot Shit
Die Geschlossenheit der Vereinsführung bröckelt. Kerscher zieht sich nach dem gescheiterten Kredit aus privaten Gründen als Präsident zurück und überlässt Bruckmüller das Amt. Die Beziehung zu Hochstaffl ist schwer angeschlagen. Kerscher erzählt öffentlich Witze über den Manager und sagt in Interviews: „Die Scheiße ist am Kochen.“ Aber Hochstaffl ist nicht zu bremsen. Noch Ende März 2002 weist er Berichte über die Überschuldung des Vereins zurück. Gegenüber News erklärt er: „Ich kann nur sagen, einige Leute werden sich noch wundern. Wir werden das sinkende Schiff wieder auf Vordermann bringen.“
Keine drei Monate später läuft das Schiff auf Grund. Am 25. Juni 2002 wird über den amtierenden Meister ein Konkursverfahren eröffnet. Knapp 60 Millionen Euro Schulden hat der Klub angehäuft. Der Verein verliert seine Lizenz, dann hört er auf zu existieren. Gegen Hochstaffl, Bruckmüller und Kerscher beginnen Ermittlungen. Die Spieler hingegen haben keine Schwierigkeiten, anderswo unterzukommen. Radoslaw Gilewicz und Jürgen Panis gehen zur Wiener Austria, wo Stronach mittlerweile Hauptsponsor ist. Auch der letzte Trainer des FC Tirol, Joachim Löw, heuert nach einem Jahr Pause in Favoriten an. Eduard Glieder, Roland Kirchler, Michael Baur und Patrik Jezek wechseln über Umwege zum FC Pasching, wo der letzte FC-Linz-Präsident Franz Grad aus einer Unterhausmannschaft einen Bundesligisten geformt hat. „Für die Spitzenverdiener waren das damals goldene Zeiten“, sagt Gewerkschafter Novotny. „Ihre Löhne sind innerhalb eines Jahrzehnts immens gestiegen.“
Die Pleite des FC Tirol leitet das Ende des Traums der Zampanos ein. Die finanziellen Probleme beim zweifachen Meister Sturm werden immer erdrückender, ausbleibende Erfolge und hohe Gagen belasten das Budget. 2006 stellt der Verein einen Konkursantrag, die Bundesliga zieht Sturm zehn Punkte in der laufenden Meisterschaft ab, Kartnig tritt nach fast 15 Jahren an der Spitze zurück. Unter seinem Nachfolger Hans Rinner saniert sich der Verein und bleibt in der Bundesliga. Das Glück hat der Lokalrivale nicht. Nach Meistertitel und Cupsieg 2004 geht der GAK drei Jahre später mit Schulden von 15 Millionen Euro in Konkurs, die Bundesliga erteilt nicht einmal die Lizenz für die zweite Liga.
Am 6. April 2005 übernimmt Red Bull den Klub: Vereinsfarben, Wappen, Name und quasi alle Spieler werden ausgetauscht. Red Bull setzt auf bekannte Konzepte und große Worte.
Das Erwachen
Die Hoffnung, mit Fußballklubs zu großem Ruhm und noch größerem Reichtum zu kommen, erweist sich als Illusion. Auch jene Protagonisten, für die die wilden 1990er kein juristisches Nachspiel hatten, verlieren die Lust. Franz Grad verkauft 2007 die Bundesliga-Lizenz seines SV Pasching an den von Jörg Haider protegierten SK Austria Kärnten in Klagenfurt, ein Jahr später beendet Frank Stronach sein Engagement bei der Austria. Auch Rudolf Quehenberger gibt seine Salzburger Austria auf. Er kann den Milliardär Dietrich Mateschitz davon überzeugen, in den Fußball zu investieren. „Mateschitz hat dem Rudi einen Gefallen getan“, sagt Pichler, der nach seinem Abstecher zu Stronach zur Salzburger Austria zurückgegangen ist. „Das war ein Dankeschön dafür, dass die Spedition Red Bull schon sehr früh unterstützt hat.“ Am 6. April 2005 übernimmt Red Bull den Klub: Vereinsfarben, Wappen, Name und quasi alle Spieler werden ausgetauscht. Red Bull setzt auf bekannte Konzepte und große Worte. „Wir wollen den Klub in drei bis fünf Jahren als europäischen Spitzenklub etablieren“, sagt Mateschitz dem Standard. Franz Beckenbauer vermittelt Ex-Spieler des FC Bayern, als erster Trainer kommt Kurt Jara. Auf den ersten Meistertitel muss Red Bull zwei Jahre warten, auf die erste Champions-League-Teilnahme bis heute. Doch anders als die Kartnigs und Kerschers wird Mateschitz nie Präsident. Er hält sich im Hintergrund, hat ausreichend Geld und Geduld, um nach anfänglichen Misserfolgen die Strategie zu ändern. Heute setzt er auf Akademien, internationales Scouting und mehrere Farmteams.
Abspann
Der moderne Fußball ist in Österreich nicht erst mit Red Bull eingezogen, sondern mit den schillernden Figuren davor. Manager wie Anton Pichler sorgten dafür, dass es heute bei jedem Bundesligisten Fanshops und Merchandising vom Trikot bis zum Duschgel gibt. Stadien wie das neue Tivoli mit Restaurant und Logen sind mittlerweile Normalität, auch reguläre Gehälter gehören heute dazu. Rudolf Novotny ist dennoch weiterhin im Auftrag der Spielergewerkschaft VdF unterwegs, die Arbeit geht ihm nicht aus. Auf seine Art ist auch Anton Pichler dem Geschäft treu geblieben. Er organisiert Fußballkongresse, bei denen Vereine mit potenziellen Sponsoren in Verbindung treten können. Für andere endete das Abenteuer im Gefängnis. Hannes Kartnig und Robert Hochstaffl wurden wegen diverser Delikte verurteilt und mussten Privatkonkurs anmelden. Während Kartnig zum Fußball auf Distanz ging, tingelt Hochstaffl zwischen verschiedenen Vereinen. Zuletzt war er von Jänner bis Mai 2018 Sportdirektor des Kapfenberger SV. Das juristische Nachspiel der GAK-Pleite zieht sich, die Grazer Staatsanwaltschaft stellte im Februar einen Prozessbeginn im Herbst in Aussicht. Martin Kerscher blieb eine Haftstrafe erspart, er musste Gernot Langes 1,8 Millionen Euro zurückzahlen. Er hatte beim Gönner des FC Tirol um eine Bankgarantie angesucht, als er schon hätte wissen müssen, dass der Verein den Kredit nicht mehr bedienen konnte. Kerscher lebt noch immer in Kitzbühel, mit Fußball hat er nichts mehr zu tun. „Die Geschichte hat mich ruiniert“, sagt er. Deswegen könne er noch nicht damit abschließen. „Vielleicht schreibe ich irgendwann ein Buch. Material genug hätte ich.“
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