Auf einem provisorisch angelegten Kleinfeld rollt der Ball nach einer guten Hereingabe der Flügelspielerin in den Strafraum, doch der Platz ist so uneben, dass der Stürmer nur ein Luftloch schlägt und der Ball in einem Schlammloch nahe der Eckfahne zum Stehen kommt. Statt Spott gibt es vom gegnerischen Torhüter ein aufmunterndes Tätscheln auf die Schulter. Im Hintergrund läuft „Bella Ciao“, die Ersatzspieler nippen an ihrem Bier. Die 23. Auflage der Mondiali Antirazzisti, dem größten antifaschistische Fußballturnier Mitteleuropas, ist in vollem Gange.
Einst als kleines Fußballturnier von antifaschistischen Ultragruppen gestartet, hat sich die Veranstaltung zu einem internationalen Treffpunkt entwickelt, um Rassismus und Repression entgegen zu treten. Vor 22 Jahren organisierte eine Ultrasektion des FC Bologna erstmals das Turnier. Es war eine Reaktion auf den grassierenden Rassismus in den italienischen Stadien. Nun gibt es erstmals zwei Mondiali in einem Jahr geben. Die Organisatoren wollen Italiens Regierungspolitik nicht einfach so hinnehmen.
In der frühen Gründungszeit bekamen die Bologna-Ultras ausgerechnet Unterstützung von einer Fangruppe des Lokalrivalen FC Modena, der die Idee gefiel. „Am Anfang standen sich die beiden Fanlager natürlich skeptisch gegenüber. Aber als man sich besser kennengelernt hat, ist aber dann eine Freundschaft zwischen vielen Bologna- und Modena- Fans entstanden. Das war lange Zeit undenkbar“ sagt Alessandro Canella, einer der Organisatoren der Mondiali Antirazzisti.
Die Sprache des Fußballs
Schauplatz des Turniers ist seit der ersten Auflage ein Grundstück am Bosco Albergati, ein riesiges Privatgelände des Instituts für die Geschichte der Partisanen. Es liegt auf halber Strecke zwischen Bologna und Modena. Das erste Turnier 1997 startete mit acht Teams. Im Jahr darauf waren es bereits 20. Bei der letztjährigen Ausgabe waren 204 Teams aus zwanzig Ländern vertreten. „Fußball ist eine einfache Sprache und kann dabei helfen, eine gesellschaftliche Veränderung hervorzurufen, die die Politik nicht schafft“, sagt Layla Mousa, die Koordinatorin des Turniers. Ein besonderes Augenmerk legen die Organisatoren bis heute auf die Auseinandersetzung mit Migranten. „Flüchtlinge sind oft in einer rechtlich aussichtslosen Situation, was Arbeitsplatz und soziale Absicherung angeht. Wir wollen ihnen einen Platz geben, um zu zeigen, dass sie willkommen sind und sich auch aktiv in gesellschaftliche Prozesse einbinden können“, sagt sie. Neben dem Fußballturnier finden verschiedene Workshops statt, an den Abenden gibt es Konzerte. Auch andere Sportarten werden hier mittlerweile ausgetragen, wie Rugby, Basketball, Volleyball und Lacrosse.
„Wenn du einen Schiri brauchst, hast du schon verloren“
Schiedsrichter gibt es keine. Ziel dahinter ist, dass die Spieler ihre Konflikte selbst lösen und einen Konsens finden sollen. Im gesamten Turnierverlauf gibt es keine groben, beabsichtigten Fouls oder Streitigkeiten. Die Stimmung ist entspannt und freundlich. „Im Fußball dominiert der Gedanke, immer gegeneinander spielen zu müssen. Ohne Schiedsrichter wird aber die Möglichkeit geschaffen, Vertrauen in das andere Team zu entwickeln“, meint Canella. „Wenn du sogar auf diesem Level jemanden brauchst, der eine Karte zücken muss, dann hast du schon verloren.“
Vielen Fangruppen boten die Mondiali Antirazzisti die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren und in der Folge die Richtung in ihren eigenen Kurven mitzubestimmen. Auch Gruppen von Vereinen, deren Anhängerschaft tendenziell als rechts eingestuft werden, nützten das Umfeld für eine Politisierung in den eigenen Reihen. „Als vor Jahren erstmals Lazio-Fans auftauchten, wurde das zuerst als Provokation gesehen. Aber sie hatten in den Mondiali einen Ort gefunden, um sich von ihrer rassistischen Kurve zu distanzieren“, erzählt Mousa. Die gute Öffentlichkeitswirksamkeit des Events liegt nicht zuletzt an bekannten Unterstützern. Der ehemalige Nationalteam- und Mittelfeldspieler der AS Roma, Damiano Tommasi, ist zum Beispiel regelmäßiger Gast beim Event im Bosco Albergati.
Nächster Halt: Riace
Am letzten Veranstaltungstag gehen die Siegerehrungen über die Bühne. Unter großem Applaus und musikalischer Begleitung werden die Preise vergeben. „Der Siegerpokal ist bei uns auf keinen Fall die wichtigste Trophäe. Wir vergeben auch Pokale für das fairste, kreativste und diverseste Team“, sagt Canella. Eine Mannschaft mit Irokesenperücken in Regenbogenfarben gewinnt den Pokal für das Team mit dem längsten Anreiseweg. Nach den Pokalübergaben wird bis spät in die Nacht hinein gefeiert. Aus den Lautsprechern tönt „Antifa Hooligans“ von Los Fastidios, das Bier fließt. In diesem Jahr wird es erstmals noch eine zweite Ausgabe der Mondiali geben. Es ist eine Reaktion auf die politische Situation in Italien. Das zweite Turnier findet Anfang Juli in Riace statt. Ein Ort mit Symbolwirkung: Die kleine Stadt in Kalabrien war durch den offenen Umgang mit Zuwanderern zu einem Modellprojekt für Integration geworden. Der Bürgermeister, Domenico Lucano, vergab leerstehende Häuser an die Neuankömmlinge und organisierte mit staatlichen Mitteln Ausbildung und Sprachkurse. 2018 drehte sich der Wind. Der Staat strich die Gelder, Lucanos muss sich wegen „Begünstigung illegaler Einwanderung“ vor Gericht verantworten. „In ganz Europa und speziell in Italien ist die politische Lage für uns katastrophal“, sagt Mousa. „Wir müssen mit unseren Gegenkonzepten aktiv auftreten.“