Dienstag, 17. Dezember 2019. Der SV Werder Bremen empfängt den 1. FSV Mainz 05 unter Flutlicht. Es ist ein Spiel im Abstiegskampf. Werder steht auf dem 15. Platz, Mainz einen Rang darüber. Vor dem Spiel ist die Stimmung rund um das Weserstadion getrübt, doch die Werder-Fans gelten als geduldig. Der Polizei steht ein entspannter Arbeitstag bevor, die Präsenz in der Stadt und vor dem Stadion ist vergleichsweise gering. Das liegt am Zeitpunkt – ein Abend unter der Woche – und am Gegner. Bei Spielen gegen Mainz werden die Einsatzkräfte reduziert. Für den seit einigen Jahren schwelenden Streit um Kosten für Polizeieinsätze bedeutet das: Die Bremer Innenbehörde wird dem Fußball keine Rechnung schicken.
Politik versus Fußball
In anderen Fällen schon. Möglich macht das ein Beschluss vom Oktober 2014. Damals verabschiedete das rot-grün regierte Bremer Stadtparlament das Gesetz für die Erhebung von Polizeimehrkosten bei gewinnorientierten Großveranstaltungen mit zu erwartenden Gewalthandlungen. Angewendet wird es auf Partien des SV Werder mit dem Label Hochrisikospiel. Im August 2015 verschickte die Stadt den ersten Gebührenbescheid an die DFL: 425.000 Euro für das Nordderby gegen den HSV im April.
Aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken von 2018 geht hervor, dass auch Spiele gegen den FC Schalke 04, Hannover 96, Eintracht Braunschweig, Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt in diese Kategorie fallen und dann statt rund 200 bis zu 1.000 Polizisten vor Ort sind. In anderen Bundesländern zählt das zur staatlichen Leistung bei Veranstaltungen. In Bremen sieht das der sozialdemokratische Innenminister Ulrich Mäurer anders. Die DFL müsse sich an den Ausgaben beteiligen. „Es gibt Grenzen, bei denen es nicht mehr angemessen ist, dass diese Kosten dem Steuerzahler aufgebürdet werden“, sagt er beim ballesterer-Gespräch in der Bremer Innenbehörde.
Im Weserstadion liegt der Gastgeber gegen Mainz nach 15 Minuten schon 0:2 zurück, der zweite Treffer fällt durch Werders Jiri Pavlenka. Auch Mäurers Initiative wirkte erst einmal wie ein Eigentor, denn die DFL ging vor Gericht und bekam zunächst recht. „Die Aufrechterhaltung und die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist ausschließlich die Sache des Staates“, sagte Ligapräsident Reinhard Rauball im Interview mit Radio Bremen. Doch es folgten Verfahren über mehrere Instanzen, bis am 29. März 2019 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abschließend urteilte: Die Liga kann an den Polizeikosten bei Hochrisikospielen beteiligt werden. „Die DFL muss zahlen, und deswegen setzen wir das jetzt auch um“, sagt Mäurer. Er kann dabei auf Rückhalt in der Bevölkerung zählen. Laut einer Studie des Fernsehmagazin SportInside aus dem Jahr 2017, finden es mehr als 80 Prozent der Befragten richtig, den Fußball zur Kasse zu bitten.
Der leidende Dritte
Nach dem Urteil wurde aus dem Konflikt zwischen DFL und Stadt Bremen zunehmend einer zwischen der DFL und dem SV Werder. Der Ligaverband übernahm im September die Kosten der inzwischen vier ausgestellten Gebührenbescheide in Höhe von 1,17 Millionen Euro, kündigte jedoch an, dass Werder die Summe womöglich allein tragen müsse. Vereinspräsident Hubertus Hess-Grunewald warnte vorsorglich schon, Topspieler könnten dann nicht mehr zu halten sein. Der SV Werder beantragte bei der DFL die Einrichtung eines Fonds, in den alle Profiklubs einzahlen und aus dem die Mehrkosten getragen werden. Doch die Mitgliederversammlung lehnte den Solidaritätstopf ab: 32 der 34 anwesenden Klubs votierten dagegen, nur RB Leipzig enthielt sich bei der Abstimmung Anfang Dezember.
Auch sportlich wurde das Monat mit vier Niederlagen in fünf Spielen zum Desaster. Gegen Mainz geht Bremen mit einem 0:5 vom Platz, von den Rängen ertönen Pfiffe, die Ultras in der Ostkurve verstummen. Die Mannschaft wirkt verunsichert. Ähnlich ergeht es der Klubführung, die sich nun der Stadt Bremen allein gegenübersieht. Medienberichten zufolge erwägt der Verein, gegen die Weiterleitung der Kosten durch die DFL gerichtlich vorzugehen. Innenminister Mäurer bietet seine Hilfe an. „Wenn es gewünscht ist, werden wir auch gerne beraten, wie man dieses Verfahren gewinnen kann.“ Er betrachtet die Entscheidung des Ligaverbands als Erpressung: „Man trifft Werder Bremen, aber eigentlich geht es gegen uns.“
Doch so schnell verliert der Verein die Verantwortung der Stadt nicht aus den Augen. Mäurer werfe dem Verein mit dem Gesetz Knüppel zwischen die Beine, sagte Sportchef Frank Baumann auf einer Pressekonferenz. Der dadurch entstehende Wettbewerbsnachteil werde dafür sorgen, dass Werder weniger Einnahmen generiere und damit weniger Steuern zahlen werde. Während der Klub in der Kritik an der Stadt geeint ist, scheint er es im Streit mit der DFL weniger. In einem Sport1-Interview Mitte Dezember sagte Präsident Hess-Grunewald: „Muss man gegebenenfalls auch die Gästekontingente reduzieren, um möglicherweise ein Rot-Spiel zu einem Gelb-Spiel werden zu lassen?“ Aufsichtsratsvorsitzender Marco Bode hielt dagegen, dass das Gästekontingent für ihn nicht verhandelbar sei. Der Verein scheint sich seiner Strategie noch nicht sicher zu sein, auf eine Gesprächsanfrage des ballesterer reagierte er nicht. Auch das vereinsunabhängige Fanprojekt wollte sich zu dem Thema nicht äußern.
Wer zahlt, schafft an
Derzeit verschickt zwar nur das hoch verschuldete Bremen Rechnungen, dennoch könnte das Urteil bundesweite Folgen haben. Denn die staatliche Aufgabe der Sicherheit bei Großveranstaltungen hat nun ein Preisschild erhalten. Noch geht es um den Fußball, doch können sich Betreiber von Diskotheken und Jahrmärkten und Veranstalter von Demonstrationen sicher sein, dass sie in Zukunft nicht auch Gebührenbescheide zugestellt bekommen? Die landesweite Faninitiative „Unsere Kurve“ machte nach dem Leipziger Urteil in einem Kommuniqué auf eine weitere Facette aufmerksam. „Konsequenterweise fordern wir nun aber auch ein deutliches Mitbestimmungsrecht für die Vereine und somit das Ende völlig überdimensionierter Polizeieinsätze.“
Bremens Innenminister Mäurer denkt hingegen in eine andere Richtung. Er wirbt bei den Kollegen anderer Bundesländer für mehr Kostenweitergabe und mehr Polizei – bislang ohne großen Erfolg. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen haben bereits angekündigt, dem Beispiel nicht folgen zu wollen, doch Rheinland-Pfalz zeigt sich interessiert. Möglicherweise drohen den in Bremen siegreichen Gästen aus Mainz also schon bald ähnliche Zustände.