Am 29. Mai 1960 beginnt die österreichische Nationalmannschaft unter Trainer Karl Decker eine ungeahnte Siegesserie. Bei nur einer Niederlage in zehn Spielen schlägt das „zweite Wunderteam“ in eineinhalb Jahren fast alle großen Teams des Kontinents. Dennoch verzichtet der ÖFB freiwillig auf eine Teilnahme an der WM 1962.
Der ballesterer bringt Auszüge aus dem fiktiven Tagebuch der Jahre 1960 bis 1962 von Bundeskapitän Karl Decker. Eine Collage aus zeitgenössischen Medienberichten, Interviews und Sportliteratur, inspiriert von David Peaces Brian-Clough-Biografie „Damned United“.
Am Ende ein Debakel
16.9.1962: Österreich CSSR 0:6
Was soll man nach einem 0:6-Schraufen sagen? Der Ingenieur Finger hält mir in der Kabine des Praterstadions das Mikrophon hin. „Karli Decker, der Bundeskapitän, ist bei mir!“ Ich tu mein bestes: „In den ersten 20 Minuten hat die Mannschaft einen guten Fußball gezeigt. Dann sind zwei Tore ruck zuck gefallen, und das dürfte auch der Nullpunkt der Mannschaft gewesen sein.“ Der Karli Koller und der Karl Stotz drängen sich an uns vorbei in die Dusche. „Aber an und für sich muß ich sagen, daß diese tschechische Mannschaft ganz hervorragenden Fußball gezeigt hat. Und ich glaube, daß es auch sehr schwer gewesen wäre, gegen diese Elf, wenn wir auch Glück gehabt hätten, zu gewinnen.“
Draußen stehen die Herren von der Presse und schimpfen über die Spieler: „Alle sehr schwach und weit unter ihrer Form! Der Fiala von der Austria liebt die Bequemlichkeit wie der Wiener sein Sonntagsschnitzerl!“ „Die Tschechen haben uns heute eine grausame Lektion erteilt“ doziert der Benesch von der Arbeiter-Zeitung. Sportjournalisten-Obmann Pepi Strabl, der schon beim Völkischen Beobachter geschrieben hat, als ich beim Sepp Herberger in der deutschen Nationalmannschaft meine Goal geschossen hab, diktiert dem Ingenieur Finger vom Rundfunk: „Das heutige Spiel hat bewiesen, daß die österreichische Nationalmannschaft bei der großen Prüfung der Weltmeisterschaft nicht in der Lage gewesen wäre, einen halbwegs ebenbürtigen Gegner abzugeben!“ Der Lechner von der Volksstimme, der Zeitung der Kommunisten, sagt: „Die Tschechen haben gezeigt, daß sie sich vollkommen gerechtfertigt auf dem zweiten Platz der Weltmeisterschaft platziert haben. Sie waren uns vor allem in der Taktik überlegen. Ihre Longpass haben unsere Verteidigung mühelos aufgerissen.“
„Der Sturz von der erfolgreichsten europäischen Nationalmannschaft zur zweit-, um nicht zu sagen drittklassigen Fußballnation binnen neun Monaten ist schmerzlich, aber folgerichtig.“
AZ
Die Tschechen sind wirklich ein blendendes Team. Bei der WM in Chile sind sie heuer bis ins Finale gekommen. Betreut werden sie vom Vytlacil Rudi, einem alten Wiener, der vorm Krieg bei der Rapid gespielt hat. Der hat seinen Spaß gehabt bei den Interviews, hat alle am Schmäh gehalten. Aber mit Schmäh alleine haben sie uns heute nicht besiegt. Das sind alles ausgebuffte Professionals, diese sogenannten Staatsamateure. Wir haben ja nur halbe Profis, bei unseren Spielern haperts dafür halt manchmal an der Kondition. Beim einen oder anderen mangelts auch am Trainingsfleiß und der sportlichen Einstellung. Es wird Zeit, daß sich da einmal was ändert. Und mit den Longpass hat der Lechner schon recht. Wir haben öfter aufs Tor geschossen, aber die Tschechen haben uns überrumpelt.
Am nächsten Tag schreibt die AZ: „Der Sturz von der erfolgreichsten europäischen Nationalmannschaft zur zweit-, um nicht zu sagen drittklassigen Fußballnation binnen neun Monaten ist schmerzlich, aber folgerichtig.“ Mit diesem Spiel ist es mit unserer Erfolgsserie wohl endgültig vorbei.
Die Ouvertüre
29.5.1960: Österreich Schottland 4:1
Begonnen hat die Glückssträhne an einem warmen Maitag im Frühjahr 1960. Die Zeitungen haben schon von einem Lostag für mich geschrieben. Viermal haben wir davor verloren, gegen Spanien, zweimal gegen die Franzosen und gegen die Tschechen. Noch eine Blamage, und es wär vielleicht vorbei gewesen. Aber Siegesserien der Österreicher beginnen gerne mit einem Sieg gegen die Schotten, hat einmal der Journalist Jo Huber geschrieben. Zumindest wars beim „Wunderteam“ vorm Krieg so, und auch über meine Mannschaft heißt es manchmal, wir sind das „zweite Wunderteam“.
Vor dem Match hab ich meine Burschen gleich hinterm Stadion aufwärmen lassen. Auf der Gstätten vor dem Cricketer-Platz. Die Herren von der Presse sind alle dort vorbeigegangen und haben unsere Übungen inspiziert. Ich war nervös, und die Spieler haben auch Lampenfieber gehabt. Sogar der routinierte Koller Karli hat gesagt: „Jetzt kommt wieder einmal das große Zittern.“ Drei neue hab ich aufgestellt gehabt, eine Verjüngungskur, und alle drei von Rapid: den Glechner Walter als Stopper, den Skocik Schani als Läufer und als Rechtsaußen den Rudi Flögel. Der Unterrichtsminister Doktor Drimmel, der ein Fußballfanatiker ist, war ganz narrisch. „Fünf Rapidler im Team! Und schon gewinnen wir 4:1“ hat er nach dem Match in der Kabine zu uns gesagt. Und den Diplomingenieur Hanappi habe ich ausnahmsweise im Sturm statt als Läufer aufgestellt, als Verbinder zur Feldmitte.
Schon hat unser Rekordinternationaler zweimal getroffen. Der Heribert Meisel hat in der Fernsehübertragung gesagt: „Gerhard Hanappi entwickelt sich zum Torjäger offenbar.“ Die Passbälle vom Hamerl haben das Schottentor geöffnet, hat der Express geschrieben. Und auch die anderen Sport-Club-Stürmer haben einen guten Tag erwischt. Das Freistoßtor vom Erich Hof war prächtig, und im Express ist gestanden: „Die Schotten haben zwar ein Königshaus aber keinen solchen Hof wie wir.“ Aber bitte, an und für sich waren die Schotten schwach. „Diesen Gegner bitte an jedem Sonntag!“ hats geheißen.
Gegen den Europacupsieger
4.9.1960: Österreich UdSSR 3:1
Als nächstes haben wir gegen die Norweger in Oslo mit 2:1 gewonnen. Ein Länderkampf, bei dem nichts gewonnen, aber viel verloren werden kann. Der Hof Erich hats dann mit einem Freistoß in der letzten Minute gerichtet. Dann gehts gegen die Sowjetrussen, die im Juli beim ersten Europacup die Jugoslawen geschlagen haben. Das Stadion ist fast voll, auch der neue dritte Rang, mehr als 80.000 Zuschauer. Die Leute wollen Jaschin, den besten Tormann der Welt, sehen. Aber sie hoffen auch auf einen Erfolg der unsrigen. Ich beobachte die Russen in Leipzig bei ihrem Match gegen die Ostdeutschen. Jeder Spieler ist Athlet und Techniker zugleich. Die Zeit, wo sie nur Fußballroboter waren, liegt schon lang zurück. Ich setze auf meine beiden erfahrenen Koller und Diplomingenieur Hanappi, die im Mittelfeld einen Sperrgürtel errichten sollen. Läufer und Angriffsreihe müssen stark gemacht werden.
In der ersten Hälfte ist das Spiel schwach und die Russen gehen in Führung. Der Heribert Meisel jammert über unsere Stürmer und die Zuschauer rufen „Hamerl, außa!“. Wie vor dem Match angekündigt, bringe ich zur Pause den frischen Helmut Senekowitsch von der Vienna. Und der „Seki“ bringt den Umschwung. Mit seinem rauhen Kampfstil holt er einen Penalty heraus. Auch am nächsten Tor ist er beteiligt. Beim dritten Goal düpiert der Erich Hof zwei Russen und schießt flach ein. So ist der Jaschin zu schlagen! Beide Tore fallen im furiosen Finale, in dem wir das Publikum für die faden 80 Minuten davor entschädigen. Die Russen waren eigentlich schwach, der Sportfunk schreibt, der Fußballwodka war ein abgestandenes Trankerl.
Glanzleistung im 4:2:4
30.10.1960: Österreich – Spanien 3:0
Am Wochenende vor dem Spiel gegen Spanien sitze ich abends ganz allein in meinem Büro im ÖFB-Haus in der Mariahilfer Straße. Untertags war ich bei den Staatsligamatches und hab mir meine Teamkandidaten angeschaut. Jetzt tippe ich die Einberufungsbriefe an die Spieler, die ich nachher noch zur Post am Westbahnhof bringen muß. Mein Co-Trainer, der Körner Robert, wartet schon beim Heurigen. Aber er wird noch ein Glaserl ohne mich trinken müssen.
Das Konzept, wie wir gegen die spanischen Kanonen bestehen können, hab ich jetzt im Kopf. In London hab ich mir die Spanier angeschaut, da wird dir schlecht, wenn du den gerissenen Alfredo Di Stefano und den schnellen Flügel Gento siehst. Im Sturm stelle ich den Austrianer Nemec als Rechtsaußen neben den Hof und hole auch den Hansi Buzek von der Vienna zurück ins Team. Drei gelernte Mittelstürmer! Der zweite Schmäh ist das neue Deckungssystem, mit dem wir die Abwehr stärken: Der Koller geht nach hinten und spielt Doppelstopper mit dem Stotz. Der Senekowitsch gibt mit dem Diplomingenieur Hanappi den Läufer und hält mit seiner steirischen Pferdelunge Verbindung zur Angriffsreihe. Eigentlich ist das jetzt ein 4:2:4 – mit vier Verteidigern statt dem 3:2:5. Mein Team-Old-Boy Karli Stotz hat mich darauf gebracht, die Abwehr elastisch aufzuziehen.
Wieso wir nicht nach Chile fahren? Die Herren im ÖFB haben beschlossen, daß wir keine Meldung für das WM-Turnier abgeben sollen. Solche Kleinhäusler! Ein Mausoleum ist das, lauter alte Funktionäre!
Eine Woche später wird das Spiel ein Volksfest. Mit 3:0 erlegen wir den spanischen Stier mit Grandezza, wie der Kurier geschrieben hat. Unsere Deckung hat vollkommen gespielt, der Diplomingenieur Hanappi hat „Don Alfredo“ kaltgestellt. Wir haben die Spanier glatt ausgespielt, Senekowitsch, Nemec und Hof haben getroffen, wobei der Referee dem Nemec noch ein Tor aberkannt hat! Jetzt sind wir übern Berg. Und in Wien steigt das Länderspielfieber. Das Praterstadion war ausverkauft, 91.000 Leute. 17.000 Kraftfahrzeuge hat die Polizei gezählt. Der Fußballbund ist jetzt hochweiß, 1,3 Millionen Schilling haben’s eingenommen. Aber die Reise zur WM war dem Verband zu teuer!
Wieso wir nicht nach Chile fahren? Das Malheur ist schon passiert, kurz nachdem ich 1958 zum Teambetreuer bestellt worden bin. Die Herren im ÖFB haben beschlossen, daß wir keine Meldung für das WM-Turnier abgeben sollen. Ich war der einzige, der die Trotteln davon abhalten wollte. Solche Kleinhäusler! Ein Mausoleum ist das, lauter alte Funktionäre! Der Vorstand Selzer von der Staatsliga hat gesagt, daß die Vereine geschlossen gegen eine Teilnahme an der Weltmeisterschaft sind. Der Kassier Schwarzl hat dann gemeint, dass die WM drei Millionen Schilling kostet und der Fußballbund das aus eigenen Mitteln überhaupt nicht aufbringen kann. Dann meldet sich der Doktor Frey von der Wacker und rechnet vor, daß wir bei der Weltmeisterschaft weit kommen müßten, damit es sich finanziell ausgeht. Weil auch bei der WM 1954 in der Schweiz hat der Verband damals nur knapp die Spesen decken können, obwohl wir bedeutende Anteile erhalten haben als Drittplatzierte, wie er sagt. Die Meisterschaft hätte schon drei Monate früher beendet werden müssen und die Staatsligaklubs haben eine Ausfallshaftung gefordert. Nie wird ich die Sitzung vergessen, es war zum Weinen! Aber wer hätte damals auch ahnen können, daß wir drei Jahre später so eine gute Auswahlmannschaft haben.Die Tempobremse 27.5.1961: Österreich – England 3:1
Mai 1961.
Ich sitze an der Bar des Hotels Herzoghof in Baden. Die Spieler habe ich auf ihre Zimmer zum Mittagsschlaf geschickt. Wir bereiten uns auf das Match gegen die Engländer vor, nachher werde ich mir die Eurovision vom englischen Match gegen die Italiener im Fernsehen anschauen. Danach gibt’s dann das Schnapsturnier und den Minigolfwettkampf. Das stärkt die Gemeinschaft! Der Erich Hof wird beim Kartentippeln nicht zu schlagen sein. Darin hat er ja viel Übung.
Am Wochenende beim Match wird das Praterstadion wieder ausverkauft sein. „Wiener Festwochen“ sind, und der Bürgermeister Doktor Jonas hat gewünscht, daß das Länderspiel auch auf dem TV-Bildschirm zu sehen ist. Unsere Funktionäre haben sich mit dem Rundfunk auf eine ordentliche Entschädigung geeinigt. Seit dem Match gegen die Spanier hat sich einiges getan. Im November in Budapest war’s wieder einmal wie verhext und wir haben 0:2 verloren. Aber das lag am Ausfall vom Karli Koller nach fünf Minuten und an der tödlichen 75. Minute: Hof schießt einen Lattenpendler hinter die Linie und der schwache Schiedsrichter Maertens laßt weiterspielen. Die Mannschaft war nach dem nichtgegebenen Tor gelähmt. Im Gegenzug schießen die Ungarn ihr erstes Goal.
Im Dezember haben wir dann einen sehr schönen 2:1-Sieg gegen Italien errungen, den ersten auswärts seit 26 Jahren. In Neapel war’s, bei strömendem Regen, eine Wasserschlacht. Eigentlich war das Match irregulär. Aber ich hab noch nie zuvor eine österreichische Mannschaft in dieser Geschlossenheit kämpfen gesehen, direkt unösterreichisch war das. Der „Seki“ ist gelaufen wie ein Roboter und der Schmied Kurtl hat sich in einen Angriff geworfen, da hat unser Arzt, der Doktor Jelinek, gedacht, er hat einen Schädelbruch. Die Viererabwehr hat tadellos funktioniert und der Erich Hof und der Kaltenbrunner Ernstl vom WAC haben für uns getroffen. Der bravouröse Diplomingenieur Hanappi hat nach dem Spiel zur Presse gesagt, daß man mit nur vier Stürmern halt nicht schön spielen kann. Aber unser Abwehrriegel war nicht zu überwinden. Der Express hat geschrieben: „Das 4:2:4 ist für die Italiener ein spanisches Dorf.“
Nach dem Spiel fahren wir alle hinaus nach Grinzing ins Tanzlokal beim Musil, den „Hühnerstall“. Sechs Uhr früh war’s, wie wir die Elektrische nach Haus genommen haben.
Heute abend machen wir Taktikbesprechung. Ich erkläre den Spielern: Achtung, die Engländer kommen mit Bobby Charlton und Jimmy Greaves! Ihr müßt’s ihre Härte ertragen, dürft’s das aber nicht mit Foulspiel verwechseln. Ihr überlaßt’s den Briten das Mittelfeld und fangt’s sie erst am Strafraum in gestaffelter Formation ab. Das ist nicht sehr schön, aber wirkungsvoll. Im Sturm paßt’s betont genau, schenkt’s keine Bälle her. Und schießt’s aus allen Lagen, dann brauchen wir die Abwehr nicht überspielen. Im Team sind diesmal zwei Neue: Der Gernot Fraydl vom GAK ist im Tor, weil der Schmied mit seiner Meniskusverklemmung und Nervenläsion nicht spielen kann. In den Sturm stell ich den jungen Rafreider vom FC Dornbirn. Auch wenn’s den Wienern nicht gefällt: Die Provinzler werden langsam besser! Ich bin extra in den Bundesländern herumgereist und hab mir die besten Spieler ausgesucht.
Und, wie soll ich sagen, durch unsere taktische Meisterleistung geht beim Match alles auf. Heiß war’s, wir können das Tempo drosseln und lassen den Gegner sich totlaufen. Die Engländer sind optisch überlegen, aber unsere betonte Langsamkeit lähmt sie. Der Karli Stotz entschärft den englischen Wundersturm. Er spielt kalt und sachlich. Der alte Rudi Hiden schaut das Match an und sagt der Zeitung, es war wunderteamreif! Der Karli Koller ist in allen Gassen. Die Engländer fallen auf die Schmähs vom Hof herein, den Eisenbahner, den Maxler und seine millimetergenauen Haken. Der Sportfunk schreibt, Rafreider war schlau wie ein Fuchs und hart wie eine Preßwurst. Nach dem Spiel fahren wir alle hinaus nach Grinzing ins Tanzlokal beim Musil, den „Hühnerstall“. Sechs Uhr früh war’s, wie wir die Elektrische nach Haus genommen haben.
Wie das Wunderteam
11.6.1961: Ungarn – Österreich 1:2
Zwei Wochen später fahren wir nach Budapest, 5.000 Schlachtenbummler begleiten uns. Bei den Ungarn war seit drei Jahrzehnten nichts zu holen. Diesmal ist das anders, wir gewinnen 2:1. Als der Referee abpfeift, haben die Ungarn Tränen in den Augen. Wir haben ihnen von Beginn an das Messer an die Brust gesetzt. Wieder haben wir das Spiel verzögert, die Schönheitsfanatiker sind nicht auf ihre Rechnung gekommen. Wie die Engländer sind die Ungarn an unserem Abwehrsystem gescheitert. Der Fraydl im Tor hatte eiserne Nerven, der „Seki“ war sehr wertvoll als Verbinder und unser Horstl Nemec hat den entscheidenden Ball über die Linie gestochert. In der AZ schreibt der Martin Maier: „Gelegentlich hört man schon, daß uns ein neues Wunderteam geboren wurde.“ Aber er ergänzt: „Diese Mannschaft wartet auf kein Wunder; sie rackert, plagt sich und kämpft bis zum Umfallen.“
Zurück in Wien zeige ich meinem Fußballbund-Präsidenten Baudirektor Walch eine Ausgabe des Züricher Sport. Dort steht, es ist ein Treppenwitz der Fußballgeschichte, daß dieses Team an den Weltmeisterschaften 1962 nicht teilnimmt. Ich schlage dem Präsidenten vor, den Spielern schöne Goldmedaillen für ihre Erfolge zu schenken. Die Zeitungen schreiben, wir sind jetzt die Nummer eins in Europa.
Sieg des Langsamspiels
10.9.1961: UdSSR – Österreich 0:1
Wir fahren mit dem Bus durch Moskau zurück zum Hotel Metropol. Vor einer Stunde haben wir die Russen vor 100.000 Zuschauern 1:0 geschlagen. Die Spieler singen „Marina, das schönste Mädchen der Welt“! Nur der Diplomingenieur Hanappi liest in einem Buch über Raketentechnik. Es ist noch einmal gut gegangen. Der Fraydl hat einen Penalty gehalten und so haben wir die Führung nach dem Tor vom Rafreider ab der siebenten Minute verteidigt. Im österreichischen Block haben’s am Ende Transparente hochgehalten – aus Klagenfurt und die Eisenbahner aus Bruck an der Mur! Der Senekowitsch ist uns abgegangen. Seit er in Sevilla ist, fehlt mir ein Spieler, der die Pendlerrolle übernehmen kann. Aber am End haben wir mit der festgelegten defensiven Taktik das Glück des Tüchtigen gehabt. Der Martin Maier von der AZ hat mir seinen Bericht gezeigt: „Decker hat ein schlaues System gefunden, das dem kleinen Österreicher wunderbar taugt, und damit schlägt er alle Großen. Ein wenig List, ein wenig Härte, ein wenig Hin und Her, ein wenig Schaumschlägerei.“ Wie lange wird die Serie halten? Viele, die mir heute freundlich die Hand drücken, würde eine Niederlage sicher nicht stören. Dann könnten’s wieder jammern und ihre Freunderln für meinen Posten forcieren. Und die Herren Funktionäre möchten auch keine Konkurrenz durch den Karli Decker.
Der dreizehnte Sieg
9.10.1961: Österreich – Ungarn 2:1
Einmal ist es noch gelungen, und es waren 90 wunderbare Minuten! Ohne den „Seki“ hab ich auf ein 4:3:3 umgestellt, mit Knoll, dem Diplomingenieur Hanappi und Hof in der Mitte. Das hat den ungarischen Selektionär Lajos Baroti ordentlich durcheinander gebracht. Weil ich den Hof Erich in Baden in der Nacht erwischt hab, wie er sich aus dem Quartier schleichen wollt, ist er diesmal gerannt wie ein Einser, selbst bei strömendem Regen. Der Buzek war auch glänzend disponiert und hat uns einen Penalty geschunden. Der Oslansky vom Sport-Club hat dann einen Ball direkt aus der Luft übernommen und den Sieg herausgebombt. Leider ist der Diplomingenieur Hanappi dafür schon länger nicht mehr auf der Höhe. Ich fürcht, er kommt in die Jahre. Selbst im Fernsehen hat man das gesehen. Der Rundfunk konnte nämlich übertragen, weil schon fünf Tage vor dem Spiel 60.000 Karten weg waren. 300.000 Schilling hat der ÖFB-Kassier dafür bekommen. Wir füllen die Kassen des Verbands, aber was haben wir davon?
Während der Partie sitzt der Heribert Meisel auf der Laufbahn und kommentiert in seiner beliebten Art fürs Radio. Er spürt schon seine herausoperierte Galle, so spannend ist es! Kurz vorm Siegestor hör ich ihn rufen: „Der 2:1-Erfolg ist zum Greifen nahe! Wie ein Frauenhaar, aber ein ganz dünnes – eins von der Bardot, eins von der BB! Da muß man schon ein Muli sein, daß man sich hier nicht aufregt!“ Nach dem Match kommt sein Kollege, der Edi Finger, zu uns in die Kabine. Ich sprech ihm ins Mikrophon, daß es heute das schönste Länderspiel war, seit ich die Funktion eines Bundestrainers hab. „Und ich möchte wirklich sagen, hoffentlich geht es so wieder weiter.“ Ich klopf auf Holz, nach dem 13. Sieg als Bundeskapitän kann jetzt nichts mehr passieren.
Jede Serie endet
9.11.1961: Jugoslawien – Österreich 2:1
Und dann ist das Glück plötzlich vorbei. Ich steh in der Kabine in Agram. Wir haben 2:1 verloren, der Feschak Jerkovic hat uns zwei Goal geschossen. Der Redakteur von der Politika ruft: „Wir haben das neue Wunderteam geschlagen!“ Der Ingenieur Finger sagt, das Team hat trotzdem ausgezeichnet gespielt. Ich red mich auf den Boden aus, auf dem sich die Jugoslawen alles erlaubt haben: „A jedes Angehen war a Foul! Ich möchte jetzt hier nichts beschönigen, aber so kann man nicht Fußball spielen.“ In Wirklichkeit ist es aber auch am Fehlen vom Koller Karli gelegen und dass der Diplomingenieur Hanappi einfach nicht mehr in Form kommt. Ich glaub, jetzt muß ich doch bald wieder verjüngen. Und wer soll statt dem „Seki“ die Verbinderrolle ausfüllen? Der Doktor Wessig vom Sportfunk diktiert nach Hause: „Unser Fußballgalagwandl, das wir stolz wie ein Firmling die Uhr vom Herrn ›Göd‹ getragen haben, ist wieder faltig und zernepft.“ Ich fürcht, bald wird es heißen, wir spielen zu langsam, zuwenig hart, zuwenig athletisch – wir brauchen eine Reform, echte Professionals, keine Halbprofis! Wobei, bei der Weltmeisterschaft hätt ich meine Kinder schon gerne gesehen. Wer weiß, was gewesen wäre. An einem guten Tag hätten wir jeden Gegner geschlagen.
Ralf Rangnick baute Klubs mit auf und brachte Milliardären Effizienz bei. Er führte Underdogs in die Bundesliga und prägte den österreichischen Fußball durch beispiellose Dominanz. Nun ist er Teamchef. Über einen Trainer zwischen Romantik und Revolution. lesen
Held von Rapid, Barcelona und Cordoba. Europäischer Torschützenkönig, singender Hitparadenstürmer und glückloser Trainer. Patriot, Egozentriker, Schmähbruder. Hans Krankl war vieles, vor allem aber: stolz auf sich selbst. lesen
Mit der EM in England kommt der Fußball wieder einmal nach Hause. Dort kennt sich Manuela Zinsberger bestens aus. Sie spielt seit 2019 bei Arsenal und ist eine der Stützen des Nationalteams. Österreichs Torfrau spricht über Vorsprünge im Kopf und ihre Liebe zum Dreck. lesen