Vom Estadio do Restelo, der langjährigen Heimstätte des CF Belenenses, hat man eine wunderbare Sicht auf den Tejo. Am gegenüberliegenden Ufer steht eine riesige Christusstatue mit ausgebreiteten Armen. Glaubt man den Anhängern des Lissaboner Klubs, wird Christus applaudieren, sollte Belenenses endlich wieder Meister werden. Gelungen ist das dem 1919 gegründeten Klub bislang nur einmal, 1946. Seit der laufenden Saison haben sich die Chancen auf Titelgewinne für Belenenses allerdings verdoppelt, denn den Klub gibt es jetzt in zwei Ligen.
Die Übernahme
Die Vorgeschichte der wundersamen Vermehrung beginnt 1999. Seit damals sind Fußballvereine in Portugal verpflichtet, ihre Profiabteilungen in eine spezielle Form der Aktiengesellschaft auszugliedern, die Sociedade Anonima Desportiva, kurz SAD. Bei Belenenses stimmte die Mitgliederversammlung des Vereins im November 2012 für den Verkauf der Aktienmehrheit an Codecity Sports Management. Zu dieser Zeit spielte die Mannschaft seit drei Jahren in der zweiten Liga, die SAD drückte ein Schuldenberg von neun Millionen Euro.
Der Investmentfonds des früheren Telekom-Managers Rui Pedro Soares zahlte einen Cent pro Aktie, um 520 Euro übernahm er knapp 52 Prozent der Anteile. Soares wurde Vorsitzender der ausgegliederten Profiabteilung und versprach, deren Verbindlichkeiten binnen sieben Jahren zu tilgen. Der Verein selbst hielt zwar nur noch die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Prozent, sicherte sich aber mit einer Aktionärsvereinbarung die Möglichkeit eines Aktienrückkaufs im Jänner 2018. Zudem wurde eine Zusatzvereinbarung über die Rechte und Pflichten beider Seiten aufgesetzt, die reichlich Interpretationsspielraum lässt.
Sportlich fand Belenenses nach dem Einstieg von Codecity sofort in die Erfolgsspur zurück. Neun Spieltage vor Saisonende stand die Rückkehr in die erste Liga fest, 2015 qualifizierte sich der Klub für die Europa League und damit erstmals seit acht Jahren wieder für einen internationalen Wettbewerb.
Die Klage
Trotz der Erfolge gärte es hinter den Kulissen, schon bald kam es zu offenen Streitigkeiten: Der 2014 ins Amt gewählte Präsident des Stammvereins, Patrick Morais de Carvalho, beschuldigte die Profisparte, ihren finanziellen Verpflichtungen für das Stadion und die Nachwuchsarbeit nicht nachzukommen. Weil die Betriebskosten nicht beglichen wurden, sperrte Carvalho den Profis im Estadio do Restelo im Frühjahr 2016 vorübergehend Wasser und Strom. „Es ist eine Schande. Wir arbeiten wie bei einem Klub in der achten Liga“, sagte der damalige Trainer Julio Velazquez auf einer Pressekonferenz. Codecity wiederum wollte von derartigen Verpflichtungen nichts mehr wissen. Der Investmentfonds verkündete, dass er die Aktionärsvereinbarung schon seit zwei Jahren als gekündigt betrachte, da der Verein seine Verbindlichkeiten von 2,3 Millionen Euro nicht beglichen habe.
Daraufhin eskalierte der Streit. Carvalho erklärte Soares zur unerwünschten Person und weigerte sich, den SAD-Vorsitzenden als Vereinsmitglied aufzunehmen. Außerdem klagte der Verein auf die Einhaltung der Aktionärsvereinbarung. Carvalhos Ziel war eindeutig. „Die Ehe zwischen Belenenses und Codecity muss in einer Scheidung enden. Das ist unvermeidlich“, sagte er im Juni 2017 nach seiner Wiederwahl als Präsident. Doch ein dreiköpfiges Schiedsgericht entschied wenig später einstimmig gegen den Verein. Das Rückkaufsrecht ist damit hinfällig. Codecity-Chef Soares gab sich nach dem Urteil optimistisch: „Wir hoffen, dass diese Entscheidung eine Auseinandersetzung beendet, die die Fans und Mitglieder von Belenenses sehr traurig gemacht hat.“ Gleichzeitig forderte er, die Prozessakten zu veröffentlichen, damit jeder die Fakten kenne. Der Verein stimmte jedoch nicht zu.
Der Rauswurf
Im Jänner 2018 erklärte Carvalho auf einer vierstündigen Informationsveranstaltung, der Verein werde die bis 30. Juni gültige Vereinbarung über die jeweiligen Rechte und Pflichten von Stammverein und SAD nicht verlängern. Mit der Aufkündigung der Aktionärsvereinbarung sei einem solchen Vertrag die Grundlage entzogen. Wenn es keine Einigung über Mietzahlungen und die Unterstützung der Nachwuchsarbeit gäbe, dürfe das Profiteam auch nicht mehr im Restelo mit seinen 25.000 Plätzen spielen. Kurz darauf stimmte die Mitgliederversammlung der Kündigung des Mietvertrags zu. Die Stadionmiete ist allerdings nicht der einzige Streitpunkt. Carvalho wirft Codecity auch vor, nicht in den Klub zu investieren. „Sie sind Kreditgeber und keine Investoren, wir kennen nicht einmal die Finanzströme“, sagte der Vereinschef in einem Interview mit der Wochenzeitung Expresso. Seit der Übernahme habe Codecity durch Transfers, Fernsehrechte und die Europa League Zusatzeinnahmen von 30 Millionen Euro generiert, dennoch seien die Schulden laut Geschäftsbericht 2016 auf 9,9 Millionen gestiegen.
Nach mehr als 60 Jahren hat Belenenses das Restelo nun verlassen, seine Heimspiele trägt der Klub im sechs Kilometer entfernten, kaum genutzten Nationalstadion aus. Zum ersten Heimspiel am 19. August gegen Porto waren rund 10.000 der 38.000 Plätze besetzt, zur Partie gegen Setubal verloren sich am nächsten Spieltag nur noch 1.449 Zuschauer im Stadion. Und das, obwohl Codecity Dauerkarten verschenkt hatte. Der Investmentfonds kündigte an, mittelfristig um sechs Millionen Euro ein neues Stadion für nur 8.000 Zuschauer bauen zu wollen. Wie viele kleinere Profiklubs leidet Belenenses unter Zuschauermangel, in der vergangenen Saison lag der Schnitt im Restelo bei 3.300. Die normalen Ticketeinnahmen spielen fürs Budget eine untergeordnete Rolle, wichtiger sind Erlöse aus Fernsehrechten, Transfers und den Heimspielen gegen Benfica, Porto und Sporting.
Doch auch im Restelo wird gespielt. Dort tritt das Team des Stammvereins als Belenenses ohne den Zusatz SAD in der sechsten Spielklasse an. Vereinspräsident Carvalho will Codecity gerichtlich verbieten lassen, Namen und Symbole von Belenenses zu verwenden. Er weiß die Mitglieder auf seiner Seite, für die der Investmentfonds längst zum roten Tuch geworden ist. Eine Versöhnung scheint in weiter Ferne.